Ausstellung zur NSU-Mordserie

Bericht über den Besuch der Ausstellung über die NSU-Mordserie in der W. v. Siemensschule durch 3 Gruppen des Hessenkollegs

Als vor 5 Jahren die rechtsterroristische NSU-Gruppe aufflog, gab es einige Wochen später – am 23. Februar 2012 – eine Feierstunde im Deutschen Bundestag, bei der auch die Angehörigen der mutmaßlich 10 Mordopfer anwesend waren und wo Bundeskanzlerin Angela Merkel die „konsequente und lückenlose Aufklärung“ der Hintergründe und Tatumstände dieser Mordserie versprach. Die deutsche Öffentlichkeit war an diesem Tag um die Mittagsstunde zu einem 5-minütigen Gedenken aufgerufen. Am Hessenkolleg hatten sich aus diesem Anlass mehrere Dutzend Studierende mit dem Schriftzug  N I E  WI E D E R   1 9 3 3  aufgestellt. In der dem Kolleggebäude (Brühlsbachstraße 15) gegenüberliegenden Haus gab es eine spontane Beifallsbekundung durch Gisela Jäckel, die als „Halbjüdin“ im Alter von 8 Jahren den Holocaust nur durch einen Zufall überlebte und deren Mutter Rosa Best ebenso wie ihre Großeltern Berta und Joseph Lyon in Auschwitz ermordet wurden. Sie ist heute Ehrenmitglied im Verein „Wetzlar erinnert“, der u.a. regelmäßige „Stolperstein“-Führungen in der Wetzlarer Altstadt anbietet.

Ernst Richter vom Verein „Wetzlar erinnert“ und Sprecher des Personenbündnisses „Wetzlar BUNT statt BRAUN“ hatte vor 9 Monaten Kontakt zur Sozialwissenschaftlerin Birgit Mair aus Nürnberg aufgenommen, unter deren Regie eine Wanderausstellung zu den Mordtaten des NSU erstellt wurde. Die Ausstellungstafeln waren Anfang November 2016 für eine Woche in den Beruflichen Schulen Dillenburg und im Foyer der Wetzlarer Werner von Siemensschule aufgebaut. Mit organisatorischer Unterstützung durch die örtliche IG Metall wurden so fünf Jahre nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorgruppe deren scheußliche Verbrechen, die Situation der Opferfamilien, die Rolle von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz sowie die gesellschaftlichen Reaktionen thematisiert. Ein besonderes Lob gab es seitens der Veranstalter für jene 22 jungen Leute, die sich im Vorfeld als sachkundige Begleiter eines 60-minütigen Rundgangs durch die Ausstellung qualifiziert hatten. Oberbürgermeister Manfred Wagner wies in seinem Grußwort bei der Ausstellungseröffnung darauf hin, dass vieles im Zusammenhang mit dem NSU-Terrornetzwerk Stehende bis heute ungeklärt ist. Er erhalte als Stadtoberhaupt häufig Post von „besorgten Bürgern“, deren Weltbilder meist hinreichende Geschichtskenntnisse vermissen ließen. Deutlich zugenommen habe ein aggressiver Tonfall mit unverschämten Formulierungen, etwa wenn aus AfD-Kreisen  „die Ausweisung von Integrationsbeauftragten“ gefordert werde. Landrat Wolfgang Schuster und der mittelhessische IG Metall-Sekretär Stefan Sachs verwiesen auf das Schicksal ihrer Väter, „die von den Nazis zum Töten abgerichtet worden waren und die Europa und seine Menschen auf eine andere Weise kennenlernen mussten, als wir das heute für selbstverständlich erachten.“ Schulleiter Michael Diehl sieht in der Ausstellung die Chance, „menschenverachtenden Entwicklungen entgegenzutreten und mit couragierten und aufgeklärten jungen Demokraten autoritären Denkmustern und vermeintlich einfachen Lösungen eine Absage zu erteilen.“  Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit und Toleranz müssten das Zusammenleben bestimmen und es gelte, „das Anderssein des Anderen als Bereicherung des eigenen Seins zu betrachten und zu erfahren“. Die NSU-Ausstellung ist aktuell in vier deutschen Städten zeitgleich zu sehen. Mehrere Tafeln schildern die Mordtaten aus der Perspektive jener Migranten-Familien, deren Väter, Söhne und Brüder brutal ermordet wurden. Die Finanzierung des faschistischen Terror-Netzwerkes wird ebenso beleuchtet wie die Rolle der Staatsorgane und die öffentliche Aufarbeitung der Mordserie. Die Diplom-Soziologin Birgit Mair erinnerte daran, dass Begriffe wie „SoKo Halbmond“ und „Döner-Morde“ einen bornierten Blick der Fahnder auf Motive und Tatverdächtigte offenbaren. Sachdienliche Zeugenaussagen seien unter den Tisch gefallen und Hinterbliebene habe man zu Hauptverdächtigen erklärt. Im Frühjahr 2007, also erst gegen Ende der Mordserie,  gelangte eine Profiler-Studie zu der Hypothese, dass „Türkenhass das verbindende Element der über ganz Deutschland verteilten Morde“ sein könne. Weil ein solch hohes Maß an Skrupellosigkeit und blutrünstiger Gewaltbereitschaft aber „für Angehörige unseres mitteleuropäischen Kulturkreis auszuschließen“ sei, habe man diese Idee wieder verworfen. Einem aufmerksamen Rentner aus Eisenach sei es schließlich zu verdanken gewesen, dass dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter nicht noch weitere heimtückisch ausgeführte Wahnsinnstaten der rassistischen Täter folgten. Dieser hatte das verdächtige Wohnmobil von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos der Polizei gemeldet. Die erste Besuchergruppe nach der Ausstellungseröffnung waren Studierende des Hessenkollegs. Sie wurden am Dienstagvormittag von Frederic Theiß begrüßt. Der 17-jährige Schüler des Beruflichen Gymnasiums war von Ernst Richter und seinem Lehrer Markus Zimmermann auf die Tätigkeit als Ausstellungsbegleiter hin angesprochen worden und hatte sich mit anderen von Birgit Mair ‚coachen‘ lassen. „Wenn wir eine lebenswerte Zukunft haben wollen, müssen wir uns für Geschichte interessieren und uns um Dinge kümmern, die schief laufen“, äußert er sich zu den Motiven für sein Engagement. Die Kolleg-Gruppen (LG 47/1 und LG 49/2) hatten sich im HpB-Unterricht inhaltlich auf den Ausstellungsbesuch vorbereitet und  einige fanden sich kurze Zeit später auch mit Bild in der Zeitung wieder. Die Wetzlarer Neue Zeitung hatte ausführlich berichtet und die Studierenden nehmen aktuell an der vierwöchigen Aktion „KLASSE Zeitung lesen!“ der Zeitungsgruppe Lahn-Dill teil, mit der unter jungen Leuten für einen in der Region verankerten Printmedien-Qualitätsjournalismus geworben wird. Auf diese Weise soll dem Ideal des umfassend informierten, interessierten und kritisch reflektierenden demokratischen Staatsbürgers zugearbeitet werden und gegen „postfaktisches Lamentieren und Krakeelen“ – wie es heute sehr verbreitet ist – angegangen werden.