Poetry Slam am HkWz

Bericht über den „Poetry Slam“ mit Stefan Dörsing und Themye Tesfu am 27.01.2016 vor Studierenden der E-Phase (LG 48) am Hessenkolleg Wetzlar
„Poetry Slam ist keine literarische Gattung, sondern ein Veranstaltungsformat, wo prinzipiell alle sprachlich-literarischen Genres – also ‚Gereimtes und Ungereimtes‘ – einfließen können.“ So erklärte Stefan Dörsing, ehemaliger Hessenkollegiat und ‚Urgestein der mittelhessischen Slamer-Szene‘ seinem Publikum (Studierende des LG 48, Einführungsphase) sein Metier. Drei eiserne Regeln gilt es beim Slam-Wettbewerb zu beherzigen: 1. Die Beiträge sind grundsätzlich selbst verfasst. 2. Sie dauern 5-6 Minuten und 3. ist auf Requisiten (etwa: ‚Kettensägen-jonglierende Hamster‘) zu verzichten. Für die Bewertung gilt: Das gesamte Publikum ist die Jury. Erstmals entstanden sind diese bei jungen Leuten populären sprachlich-rhetorischen „battlefields“ Ende der 80er Jahren in den USA, initiiert durch den ehemaligen Bauarbeiter Marc Kelly Smith. Er verstand die Arena-Atmosphäre und das zuweilen Schräg-Überdrehte der Slam-Darbietungen als zeitgemäße Alternative zur klassischen ‚Der Autor liest – gelegentlich zum Wasserglas greifend – vor geduldig zuhörendem Publikum‘ – Variante von Literaturlesungen. Der aus Berlin angereiste Slammer Themye Tesfu – vom Kollegen Dörsing als „Inhaber des Bayern-Abiturs“ vorgestellt („Das kommt praktisch einem Hochschulabschluss gleich!“) – hat seine Slammer-Karriere einer „ausgefallenen Physik-Stunde“ an seiner damaligen Schule zu verdanken. Er wohnt jetzt in Berlin-Wedding („… gehe dort gerne spazieren und gebe neugierigen Passanten Auskunft über meine Vita: von afrikanischen Eltern auf der Flucht in Italien gezeugt, aufgewachsen in Bayern, dann nach Deutschland emigriert…“) und verfügt – was Afrika betrifft („zur Zeit von König Bob Marley regiert“) – über einen phantastischen ‚virtuellen Atlas‘: Alle 54 Länder des „schwarzen Kontinents“ werden ohne Punkt und Komma als Wortkaskade hervorgebracht. Chapeau! Der Wortakrobat bleibt bescheiden: „Dafür bitte keinen Applaus, das ist nur auswendig gelernt.“ Die Existenz als freischaffender Künstler beinhaltet Abwehrstrategien gegen die Zumutungen des Alltags: „Der Wecker penetrierte mein Ohr wie der Ruf eines kehlkopfkranken Muezzins“. Und Scheitern gehört zum Leben dazu: „Scheitern ist o.k., ist normal – wie Sterben, Sterben ist eine extreme Form des Scheiterns“. Perspektiv-Wechsel sind dem Slam-Format nicht fremd. Auch Tempotaschentüchern wird eine Stimme gegeben: „So’n Mist“, sagte das vollgewichste Taschentuch, während ich nach ZEWA such“. Zotig ging es weiter: „Wer zu früh kommt, den bestraft die Domina“… oder „Ficke nicht dein Leben, sondern lebe deinen Fick!“. Mit Blick auf die DEUTSCHE LEITKULTUR lautet der Befund: „Aus zu großem Wohlstand entsteht seelischer Notstand“. Und als oberste Maxime im Land der Dichter und Denker – von „Horst dem Deutschen“ für alle Zeiten festgelegt – gilt: „Ohne Formen, ohne Normen ist das life nicht lebenswert“. Pech für Linkshänder: „Hast du nur zwei linke Hände, hast du vom Anfang schon das Ende“. Tröstung hält das Internet bereit: „Ein ‚like‘ heilt alle Wunden“. Auch wenn eine Nacht erneut ‚ohne Liebe‘ verbracht wurde und das Leben danach ohne gemeinsames Frühstück weitergeht und aus einem Gang zum Zigarettenautomat besteht. Die Welt besteht aus Surrogaten und Pseudo-Angeboten. Nicht „Maoam oder Elfmeterschießen“ lautet die Alternative, das Publikum hat sich zwischen „Pseudo-Philosophischem“ (SOKRATES) und „Pseudo-Politischem“ (ANGIE) zu entscheiden. Das Triumvirat „Ameisenmann, Meermann und Teichmann“ gibt Orientierung im Irrgarten des Lebens. Auch die vielfach aufgeworfene Gender-Frage ist nicht leicht zu beantworten: „Das ist kein Bart! Das ist der Achselschweif von Alice Schwarzer“. Kritische Selbstreflexion ist angesagt: „Sich sein Männerbild bei Mario Barth machen ist wie den Führerschein bei Mario Cart machen!“. Zwar gilt „Indianer kennen keinen Schmerz“ – aber „auch Hengste haben Ängste“. Und das ‚Smartphone in der Hand‘ antwortet auf die besorgte Frage „Wer ist der männlichste im ganzen Land?“: „Hinter den Bergen, bei den 7 Zwergen, wohnt Conan der Barbar, der ist noch viel männlicher als ihr!“. Solcherart gekränkte Männlichkeit verlangt nach Tröstung, Absolution. Die gewährt „Papst Berlusconi, unser Bums-Prophet“. Im Umgang mit Minderheiten ist Toleranz geboten: „No Homo, no Shlomo! Denn wir haben nichts gegen Schwule und Juden“. Einig war sich das Slammer-Duo in der besonderen Wertschätzung für die Omas im Lande: „Wer backt Rosinenbomber? Wer kauft dir ein Eis im Sommer? Wer setzt noch richtig Komma? Die OMMA!!!“ Und es sind besondere Omas, die im Rap-Song als ‚kultig‘ besungen werden: „Meine Oma hat deiner Oma den Zivi ausgespannt!“ Na und? „Meine Oma stellt deine Oma bei Körperwelten aus!“ Im „Werbeblock“ machte Stefan Dörsing auf die diesjährige hessische Slam-Meisterschaft (vom 2.6. bis 4.6. im Wetzlarer Rosengärtchen) aufmerksam, die er mitorganisiert.
Im anschließenden Workshop wurde aus Applaus spendenden Zuhörern ein Kreis von Text-Produzenten. Es galt, in 20 Minuten aus sechs selbstgewählten Begriffen einen pfiffigen (Stefan Dörsing: „am besten mit Protagonist und Antagonist“) Prosatext zu kreieren oder seine Ideen in Versform zu bringen. Die Texte wurden anschließend vorgestellt und kommentiert. „Der Stampfer“ war Leitmotiv eines Debut-Textes, in einem anderen lag der Scheinwerfer auf dem Superhelden „catman“. ‚Humor‘ war eine vielfach und variantenreich verwendete „Würze“ der Slam-Text-Entwürfe. „Das ist aber beim Poetry Slam kein ‚Muss‘“, ließ Altkollegiat Stefan Dörsing seine Epigone wissen.