Goethe-Matinee 2016

„Goethe für alle!“ – Bericht über die literarische Matinée mit Erich Schaffner und Georg Klemp am Hessenkolleg Wetzlar – 25.01.2016
Literarische Matineen zum Semesterwechsel haben am Wetzlarer Hessenkolleg schon Tradition. „Goethe für alle!“ war diesmal das 90-minütige Bühnenprogramm betitelt, mit dem der Schauspieler und Kulturarbeiter Erich Schaffner (Mörfelden) den Studierenden der Erwachsenenschule Einblicke in das Text-Universum des Dichterfürsten gab. Goethes Lyrik (Heidenröslein, Schäfers Klagelied, Der König in Thule, Flohlied des Mephisto) wurde – unterstützt vom Pianisten Georg Klemp (Bad Nauheim) – mit beeindruckender Gesangsstimme in Liedform vorgetragen. Der gelernte Drucker Schaffner, der selbst am Zweiten Bildungsweg das Abitur nachgemacht und dann in Frankfurt ein Schauspielstudium absolviert hat, betrat die Bühne in einem Handwerkerkittel. Er sollte aus Anlass eines Goethe-Jubiläums ( Kurt Tucholsky, 1932: “Röte, Nöte, Flöte – alles reimt sich jetzt auf Goethe“) das Bühnenbild für „die Damen und Herren Künstler und Goethe-Interpreten“ vorbereiten. Die waren aber allesamt ‚unpässlich‘, sodass der „Mann aus dem Volk“ seine Chance nutzte und sich dem Publikum als der „Goethe-Crack“ zeigte, der er insgeheim schon immer war. Angespornt durch des Meisters Notat „Das poetische Talent ist dem Bauern wie dem Rittersmann gegeben“. Der Frankfurter Volksdichter Friedrich Stoltze sah das auch so und rief 1849 seinem Publikum zu: „In jedem von uns steckt en klaane Göhde, er kommt nur net bei jedem aach enaus“. Der DDR-Dichter Peter Hacks, der sich selbst als Goethe-Nachfahre sah, hat Maßstäbe dafür formuliert, wann ein Künstler als „Klassiker“ gelten kann. Goethes Genius und seine Philosophie wurden mit zahlreichen Anekdoten und Aphorismen („Tätig zu sein ist die Bestimmung des Menschen“; „Entscheide dich: Willst du Hammer oder Amboss sein?!“; „Man wird nicht betrogen, man betrügt sich immer selbst“) umrissen. Goethe war ein Seismograph der mit der industriellen Moderne verbundenen Veränderungen im menschlichen Miteinander, die er als „veloziferisch“ apostrophierte: „Schnelligkeit und Reichtum“ würden als Lebensziel und Glückssurrogat die Menschen leiten, prognostizierte er. Das „überhandnehmende Maschinenwesen“ war dem 1749 geborenen Universalgelehrten nicht geheuer, wie man in „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ nachlesen kann. Schaffner ließ mit Georg Büchner („Mord durch Arbeit“), Bertrand Russel („Es wird viel zu viel gearbeitet auf der Welt“) und dem Klimaforscher Hartmut Graßl („Nichtstun ist die ökologisch verträglichste Form der Lebensgestaltung“) auch spätere Kritiker der zum Fetisch erhobenen „Wachstumsgesellschaft“ zu Wort kommen. Dass Hochkultur heutzutage in Nischen verbannt und die Massenkultur „auf den Bohlen“ gekommen ist, mochte der Goethe-Interpret durch einen von Goethe stammenden Spruch kommentieren: „Die Scheißkerle sitzen überall auf dem Fasse!“. Den Rezitationen und Liedvorträgen schloss sich ein „Werkstattgespräch“ mit den beiden Künstlern an, in dem die Studierenden nach Techniken des Auswendiglernens fragten und Auskünfte über Inszenierungstechniken und die Praxis bei Rollenbesetzungen („Kann man von der Schauspielerei leben?“) fragten. Schulleiterin Verena Hohoff hatte auch einige Ehemalige als Gäste der Schulveranstaltung begrüßen können. Sie dankte dem Förderkreis des Kollegs für die Unterstützung und sieht in der gelungenen Theaterdarbietung eine Motivation für den Unterricht im Wahlfach „Darstellendes Spiel“.