Literatur-Lesung im Deutschunterricht Lg 48

Die heimische Autorin Sigrid Krekel stellt am Hessenkolleg Erzähltexte vor
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Heimische Autoren stellen ihre Texte vor“ war die in Wetzlar-Garbenheim lebende Buchautorin Sigrid Krekel zu Gast im Deutschunterricht der Einführungsphase des Hessenkollegs. Die Studierenden (LG 48/1) hatten im Vorfeld einige Texte prominenter Schriftsteller kennengelernt und den Umgang mit Erzählperspektiven, rhetorischen Figuren, Stilmitteln, Reimformen und Vers-Metren eingeübt. „Ich beobachte gerne Menschen und denke mir Geschichten aus, die zu diesen Beobachtungen irgendwie passen“, gab die freie Schriftstellerin als Motiv für ihr literarisches Schaffen an. Zum Broterwerb verfasst sie – als Auftragsarbeit von Verlagen – Sachbücher. In dem Zusammenhang ist ein Buch über die Kulturgeschichte des Teetrinkens entstanden. Derzeit arbeitet die Autorin an einem Kriminalroman, der in 2016 erscheinen wird. Im Zentrum der Lesung an der Erwachsenenschule stand Kurzprosa. Mehrere Texte stammen aus dem Erzählband „Café Sternheim“, der 2013 im Wetzlarer Verlag „Büchse der Pandora“ erschienen ist. Den humorvollen Abschluss bildete die Geschichte „Urwaldsinnen“, bei der es um die amourösen Ambitionen einer Waldbesucherin in Richtung des begleitenden Grünrockes geht. Sie sei durch die Türinschrift („Zur wilden Sau“) einer Gaststätte im Reinhardswald dazu inspiriert worden, verriet Krekel. Andere Erzählungen sind ernsthafter, ambitionierter. Bei dem Text „Der Wort-Beauftragte“ denkt man an Kurt Tucholskys Appell „Sprache ist eine Waffe, haltet sie scharf!“. Der Plot erinnert Literaturkenner an George Orwells Zukunftsroman „1984“, wo „Big Brother“ darüber wacht, dass alle Staatsbürger ihr gewohntes „Altsprech“ ablegen und sich den Normen, Zwängen und Tabus der von oben verordneten „Neusprech“-Konvention unterwerfen. Es geht um eine Welt/-Anschauung, wo überall „Innovationen“ stattfinden, damit Glätte und Effizienz optimiert werden. Dabei müssen „Belegschaftsaltlasten“ im Sinne einer „verschlankten Produktion“ durch „Freisetzungen“ beseitigt werden. Und mit den Begriffen „Humankapital“ und „Human Resources“ gelingt die „geradezu geniale Verknüpfung des Wichtigsten mit einer menschlichen Doppelvorsilbe“. Auch das Kriegsvokabular ist weichgespült: Der Mensch ist ein „weiches Ziel“ und wird am Ende als „Kollateralschaden“ abgebucht. Ein Protagonist dieser „brave new world“ ist der Vorsitzende Richter Dr. Leonhard Schaller, der in der Erzählung „Die Bereinigung“ am 16. Juni 2053 ein Urteil über die Greisin Lena Posinger zu sprechen hat, die auf ihrem Weiterleben über das 78. Lebensjahr hinaus besteht. Schaller ist Ästhet: „Ihre von Arthrose krummen Finger, das dünne stumpfe Haar und ihr zerfurchtes Gesicht hatten ihn angewidert“. Schallers Interesse gilt am Ende der Gerichtsverhandlung dem ungezeugten Leben: „In einer halben Stunde war Zeugungstermin. Das befruchtete Ei würde Mati austragen, ein hübsches junges, gesundes und sehr freundliches Mädchen. Schaller hatte sie selbst aus dem Mütterkatalog ausgesucht. Er stieg in ein zentralgesteuertes Taxi und lehnte sich zufrieden zurück. In der Kabine würde er an Mati denken.“ Es sind Szenen aus einer Welt, in der Menschen mit abgelaufenem Verfallsdatum (Stichtag ist der 59. Geburtstag) in „Abschiedstrainings“ auf ein baldiges ‚sozialverträgliches Ableben‘ vorbereitet werden, während sich die Zeitgenossen derweil um klare Definitionen dessen bemühen, was ein Leistungspaket „Maniküre und Pediküre“ an Standards und an Extras gegen Aufpreis enthält. Am Ende der kurzweiligen Literatur-Lesung lud Sigrid Krekel die Hessenkollegiaten zu einem Rezitationsabend mit Rilke-Texten (am 18.12. in der Kulturstation) ein, den sie gemeinsam mit Michael Speckmann bestreitet.
In einer mail am Folgetag der Rezitation schreibt Sigrid Krekel der Schulgemeinde des Hessenkollegs: „Das HKWz darf sich jederzeit melden, wenn ich einen Deutsch- oder Menschlichkeitskurs bereichern kann. Es ist so wichtig über die Kraft und die Macht der Sprache zu sprechen, die Leute zu sensibilisieren, gerade in dieser Zeit.“