Friedensforscher am Kolleg

Bericht über den Syrien/Nahost-Vortrag von Clemens Ronnefeldt vor Studierenden der Q-Phase am 17.11.2015 im Mehrzweckraum des Hessenkollegs
Eine nicht alltägliche politisch-historische Unterrichtsstunde erlebten die Studierenden der Lehrgänge 46 und 47 (Q3 und Q1) in Form eines Vortrages des Nahost-Experten Clemens Ronnefeldt, der zusammen mit Ernst von der Recke (Laurentiuskonvent Laufdorf, AK Frieden im Kirchenkreis Braunfels) die Wetzlarer Erwachsenenschule besuchte. Lehrer Klaus Petri hatte die Gäste begrüßt und führte mit einem Zitat aus Goethes Drama Faust I in das Thema ein: „Nichts Besseres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen / Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, / Wenn hinten, weit, in der Türkei / Die Völker auf einander schlagen./ Man steht am Fenster,/ Trinkt sein Gläschen aus / Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten; / Dann kehrt man abends froh nach Haus, / Und segnet Fried `und Friedenszeiten.“ Diese naiv-unbekümmerte Sicht „des Bürgers“, so Petri, auf Konflikte „janz weit draußen“ sei in Zeiten der Globalisierung keine echte Option mehr. Spätestens mit den anschwellenden Flüchtlingsströmen falle uns Europäern das Ganze „auf die Füße“. Die Einladung der HpB-Lehrkräfte an einen Friedens- und Konfliktforscher verstehe sich auch als Unterstützung der lobenswerten Initiative von einem Dutzend Studierender („Refugees welcome!“), die sich mit Sprachunterrichtsangeboten und Dolmetscher-Aktivitäten kreativ und engagiert an der Lösung des drängenden Problems „Integration von Hunderttausenden von Flüchtlingen“ beteiligten.
„Es sind nicht diese Mitmenschen, die uns gefährden. Sie sind einem barbarischen Gemetzel entkommen und sie sind aktuell auf unsere Nächstenliebe angewiesen. Es ist Zeit, die Globalisierung der Gleichgültigkeit zu beenden“, äußerte der mit dem Nahen Osten gut vertraute Referent Clemens Ronnefeldt mit Blick auf die Flüchtlingsdebatte. Der studierte Theologe und Philosoph berät Bundesaußenminister Steinmeier und hat vor kurzem an der Evangelischen Akademie eine Friedens- und Aussöhnungskonferenz mit 26 zivilgesellschaftlichen Akteuren aus 9 Ländern der Konfliktregion Nahost organisiert: „Auf dem gezeigten Bild fehlen einige Teilnehmer. Hätten sie sich gemeinsam mit ‚ihren Feinden‘ ablichten lassen, hätten sie mit Folter und Ermordung durch ‚ihre eigenen Leute‘ rechnen müssen“, kommentierte der Konflikt-Manager die Dramatik der Lage. Ein historischer Exkurs eröffnete neue Perspektiven auf das Spannungsverhältnis „Orient-Okzident“ und verwies auf die hierzulande ausbleibende Trauer über die geschätzte halbe Million irakische Kinder, die infolge des Irak-Embargos (1991 bis 2003) starben oder die Tausende Leukämie-Fälle infolge der von US-Truppen im Südirak eingesetzten panzerbrechenden Uran-Munition. Die Kreuzzugs-Rhetorik unter dem US-Präsidenten G.W. Bush mobilisierte unter den Muslimen alte Traumata: beim 1099er Kreuzzug richteten christliche Kreuzfahrer ein Blutbad unter den Bewohnern Jerusalems an, die als „Ungläubige“ kein Recht auf Leben hätten. 1916 sei den Arabern mit dem Sykes-Picot-Abkommen ein eigenes Staatswesen versprochen worden. Die anschließende Wortbrüchigkeit der imperialistischen Mächte England und Frankreich bei der Festlegung der Nachkriegsgrenzen sei ein weiterer Grund für Misstrauen und Hass gegenüber dem Westen. Die von einer „Anti-Terror-Allianz“ unter US-Ägide geführten Kriege gegen Irak (1991/2003), Afghanistan (2001) und Libyen (2011) hätten ihre Ziele verfehlt und die ganze Region in ein Chaos gestürzt. Rund sechs der sich auf 15 Billionen Dollar belaufenden Staatsschulden der USA seien während Bushs Amtszeit entstanden. Die gigantische Schuldenlast schränke heute den Spielraum für weitere militärische Abenteuer des Weltpolizisten ein. Mit Kartenmaterial zur weltweiten Verteilung von Ölreserven und zu Pipeline-Planungen sowie mit dem Hinweis auf die Neuausrichtung der deutschen Außen- und Militärpolitik („Verteidigungspolitische Richtlinien aus dem Jahr 2011“) wurde augenfällig: „Es geht jeweils um ‚unser Öl‘, das gemäß einem Spruch des Kabarettisten Volker Pispers ‚leider unter arabischen Sand gerutscht‘ ist.“ Statt solcher Anmaßung müsse man den Arabern und Iranern „auf Augenhöhe“ begegnen. Für den 55-jährigen Friedens- und Konfliktforscher Ronnefeldt, der namens des 1914 gegründeten „Internationalen Versöhnungsbundes“ auch jährlich eine „Münchner alternative Sicherheitskonferenz“ mitorganisiert, gehören „Bush, Cheney und Rumsfeld vor ein Internationales Kriegsverbrechertribunal“. Zahlreiche Belege wurden im Vortrag dafür geliefert, dass außer martialischer Kriegsrhetorik („Achse des Bösen“) auch Fallenstellerei und dreiste Lügen das Handeln des ‚Weltpolizisten USA‘ begleitet haben. Das Atomabkommen mit dem Iran und die Beseitigung der syrischen Giftgasbestände sieht Ronnefeldt als Beispiele dafür, dass „mit Vernunft und Weitblick in der internationalen Politik auch dicke Bretter gebohrt werden können“. Für eine anschließende Diskussion blieb nach dem sehr dichten, 80-minütigen Vortrag wenig Zeit. Allerdings hatten sich mehrere Studierende während des mit Bildmaterial unterlegten Referats mit Fragen und ergänzenden Beiträgen eingebracht. Einiges verblüffte den Gast aus Rheinland-Pfalz: „Woher wissen Sie das alles?“ Als vertiefende Lektüre empfahl der Referent das Buch „Wer den Wind sät… Was westliche Politik im Nahen Osten anrichtet“ von Michael Lüders.