Stolperstein-Verlegung 2015

„Ein Mensch ist vergessen, wenn sein Name vergessen ist“ (aus dem Talmud)

Studierende des Lehrgangs 48 (E-Phase, Gruppe 1) beteiligen sich an „Stolperstein-Verlegung“ und Gedenkfeier in der Wetzlarer Altstadt
Im Rahmen der letzten Projektwoche (Ende Juli 2015) hatten Studierende während einer historischen Stadterkundung (Projekt „Wir lernen uns und unsere Region näher kennen“) Kenntnis von dem „Stolperstein-Projekt“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig genommen. Nach den Sommerferien, gleich am 2. Schultag, ergab sich die Gelegenheit, dem Initiator dieser Form des Gedenkens bei der Arbeit über die Schulter zu schauen und sich an Original-Schauplätzen eingehend mit den Schicksalen jüdischer Menschen aus Wetzlar während des 2. Weltkrieges zu befassen. Über diese Erfahrung wurde der folgende Bericht verfasst:
„Man stolpert mit dem Kopf und dem Herzen über Einzelschicksale und verbeugt sich beim Entziffern der Inschrift vor den Opfern von Verfolgung und Gewaltherrschaft.“ So erläuterte der Kölner Bildhauer Gunter Demnig die Idee der „Stolpersteine“, die er vor knapp 2 Jahrzehnten als Form des Vor-Ort-Gedenkens an die Gräuel der Nazizeit initiierte. Rund 55.000 der kaum postkartengroßen und in Metall gearbeiteten Kurzbiografien sind inzwischen europaweit in das Pflaster von 1.600 Städten und Dörfern eingebracht worden. In Wetzlars Altstadt wird so seit Oktober 2009 an deportierte Menschen aus der Bürgerschaft erinnert. Von den 54 während des Krieges in die Vernichtungslager verfrachteten Menschen jüdischen Glaubens wurden 38 ermordet, 16 gelten als verschollen. Die zwischen Kornmarkt und Eisenmarkt gelegene Gewandsgasse war der letzte Wohnort von Martha (JG. 1905) und Mathilde Levy (JG 1874) sowie von Rosa Löb (JG 1883), die in den Lagern Sobibor und Theresienstadt starben. Zugleich war es die erste von sieben Stationen, an denen gemäß eines Beschlusses der Wetzlarer Stadtverordnetenversammlung 19 Stolpersteine eingelassen wurden. Oberbürgermeister Wolfram Dette (FDP) und Bürgermeister Manfred Wagner (SPD) plädierten für eine lebendige und vielfältige Erinnerungskultur und bedankten sich bei den 50 Anwesenden für deren Teilnahme an der Gedenkfeier. Die Finanzierung der Stolpersteine (120 Euro pro Stück) hatten Einzelpersonen und Gruppen wie das Evangelische Jugendpfarramt aus Wetzlar und Umgebung im Rahmen einer „Patenschaft“ übernommen. Karsten Porezag, Autor des Buches „Als aus Nachbarn Juden wurden“, verlas Textstellen, die von den menschlichen Abgründen des damaligen Geschehens künden. In 2005 erinnerte sich eine frühere Nachbarin der 3 Jüdinnen aus der Gewandsgasse: „In der letzten Zeit vor ihrem Zwangsumzug nach Niedergirmes haben wir oft abends zusammen Karten gespielt, damit sie abgelenkt waren. Eines Tages – es mag Anfang April 1942 gewesen sein – kam ich von der Nachtschicht heim, als sich die drei Frauen gerade von meinen Eltern verabschiedeten. Alles weinte und wir wussten, dass die Jüdinnen einen schweren Gang vor sich hatten.“ Rabbiner Andrew Steinman war aus Frankfurt/M. angereist, wo er als Seelsorger in einem christlich-jüdischen Seniorenheim arbeitet. Mitgebracht hatte er den Gebetsschal und die Grüße eines Holocaust-Überlebenden. So wurde symbolisch eine Verbindung zu den vor 73 Jahren ermordeten Glaubensbrüdern und -schwestern hergestellt. In der Silhöfer Straße 6 wurde des nach einer „Schutzhaft“ im KZ Buchenwald 1942 in Treblinka ermordeten Moritz Wertheim gedacht, in der Lahnstraße 28 wird mit einem Stolperstein an Clara Schloss (JG 1882) erinnert, die aus einem Schuhgeschäft in der Obertorstraße stammte. Gleich 7 Familienmitglieder einer Familie Moses werden zu Beginn der Langgasse (Haus Nr. 17) mit Gedenksteinen betrauert. Rabbi Steinman brachte den Schulbeginn an Wetzlars Schulen mit dem barbarischen Ende der Moses-Kinder Ruth (10 Jahre) und Manfred (7 Jahre) in Verbindung: „Hier gedenken wir der Ohnmacht von zwei jüdischen Kindern angesichts ihrer Vernichtung. Welch ein bizarrer Kontrast zu den Nazi-Hirngespinsten von einer allmächtigen jüdischen Weltverschwörung!“ Mit Blick auf die aktuelle Weltlage bemerkte der jüdische Geistliche: „Eine Art Wiedergutmachung wäre es, wenn der Hass aufhörte. Wir nehmen derzeit viele Flüchtlinge aus Ländern auf, in denen erbarmungslos verfolgt und gemordet wird. Auch das ist ein Stück Wiederherstellung unserer Würde als Menschen. Es muss noch mehr aufgeklärt werden, damit weniger gehasst wird“. Die letzte Station der Gedenksteinverlegung (nach dem Karl-Kellerring 41/damals Jakob-Sprenger-Straße) ist mit der Adresse „Unter dem Nussbaum 55“ außerhalb des Altstadtbereichs gelegen. Hier wohnte die 1908 geborene Elisabeth Debus, die 1941 in eine Pflege- und Heilanstalt (Scheuern/Eifel) eingewiesen und dann in Hadamar bei Limburg im Rahmen des „Euthanasie-Programms“ ermordet wurde. Bei der Ehrung anwesend waren ein Enkel von Frau Debus und Claudia Schaaf, die als Pädagogische Mitarbeiterin der Gedenkstätte Hadamar an die „Stigmatisierung ganzer Familien als erbkrank und minderwertig“ erinnerte.