Friedensaktivisten aus Korea am HKWZ

Bericht über den Besuch von zwei Friedensaktivisten aus Korea im HpB-Unterricht am Hessenkolleg Wetzlar (20. April 2015)
„Frieden ist nicht alles – aber ohne Frieden ist alles nichts.“ Diese leidvolle Erfahrung machen derzeit Millionen Menschen in der Ukraine, in Syrien, Libyen, im Irak, in Jemen, Somalia und andernorts auf der Welt. Und diese Erfahrung ist nach zwei verheerenden Weltkriegen fest im Bewusstsein der europäischen Völker verankert. In Deutschland fand nach dem Massenschlachten ein „Recht auf Kriegsdienstverweigerung“ Eingang in die Verfassung. Auch brauchte es immerhin 10 Jahre, bis dann 1955 wieder „Bürger in Uniformen“ zum Alltag gehörten. Von denjenigen, die vorher „des Führers Rock“ getragen hatten – der 1927 geborene Günter Grass ist dafür ein prominentes Beispiel – war zeitlebens keine Bereitschaft zum Waffendienst mehr zu erwarten. Das preußisch geprägte Wetzlar ist lange Zeit Garnisonsstadt mit zwei Kasernen gewesen. Das änderte sich von Grund auf mit dem Mauerfall und dem Ende des Kalten Krieges. Die Systemkonkurrenz zwischen zwei Landesteilen mit einer waffenstarrenden Grenze gibt es heute noch in Korea. Die Gruppe 4 des 47er Lehrgangs am Hessenkolleg hatte jetzt Gelegenheit zwei Menschen aus Südkorea kennenzulernen, die sich mit aller Konsequenz für Völkerverständigung und gewaltfreie Formen der Konfliktaustragung engagieren. Schulleiterin Verena Hohoff und Klaus Petri, Lehrer für Historisch-politische Bildung, hatten das Angebot von Ernst von der Recke (AK Frieden im Kirchenkreis Braunfels) zu Vortrag und Diskussion über die Lage auf der koreanischen Halbinsel gerne angenommen. Die Friedensaktivistin Yeo-ok Yang berät mit ihrem Team „World without War“ Kriegsdientverweigerer. Ihr Begleiter Myungjin Moon ist ebenfalls Pazifist und war deshalb in Südkorea, wo es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt, 2011 und 2012 inhaftiert. Die in Koreanisch gehaltenen Ausführungen von Yeo-ok Yang wurden von Jessica Wille in der deutschen Übersetzung verlesen, den in Englisch gehaltenen Ausführungen von Myongjin Moon konnte die Gruppe gut folgen. Bei Bedarf half Klassenkamerad Florian Stumpf als Übersetzer nach. Die Begrüßungsformel „Guten Tag“ meisterte der koreanische Gast auf Deutsch. In einem bebilderten Vortrag wurde die Gruppe mit geschichtlichen und landeskundlichen Gegebenheiten vertraut gemacht. Südkorea hat rund 50 Mio EW und unterhält eine 640.000 Mann starke Armee, was etwa dem Dreifachen der Bundeswehr entspricht. Die Wehrzeit der jungen Männer beträgt 21-24 Monate. Rund 15% des Staatsbudgets werden fürs Militär ausgegeben (in Deutschland sind es etwa 10%, zur Zeit des Kalten Krieges war die Quote doppelt so hoch). In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1910-1945) war Korea eine japanische Kolonie. 1950-1953 wurde der andernorts „kalt“ genannte Krieg zwischen den Supermächten USA und UdSSR in Ostasien „heiß“: geschätzte 2 bis 3 Millionen Tote hinterließ dieser „Stellvertreterkrieg“ – und es stand die amerikanische Drohung eines erneuten Atomwaffeneinsatzes im Raum. Zwischen 1961 und 1987 herrschte in Südkorea unter Park Chung hee eine Militärdiktatur. Seit den Massenprotesten des „Democratic Uprising“ 1987 existiert eine parlamentarische Demokratie, die nach Auskunft von M. Moon „vom Geist des Konservatismus, Antikommunismus und Militarismus durchdrungen“ ist. Das Trauma des Krieges habe die koreanische Gesellschaft „physisch und psychisch entstellt“. Ein Bild zeigte den Fahnenappell und das gemeinsame Absingen der Nationalhymne durch eine Formation von hunderten auf dem Schulhof angetretenen Schülern. Haartracht und Kleidung werden strikt reglementiert. 2010 wurde ein Lehrer bestraft, der sich diesen Ritualen zu entziehen können glaubte. „Kriegsdienstverweigerung ist in meinem Land ein unglaublicher Skandal“, kommentierte der Referent, der sich für dieses „Delikt“ Gefängnisarrest einhandelte und sein ursprüngliches Berufsziel ‚Lehrer an einer staatlichen Grundschule‘ nicht wird weiterverfolgen können. Yeo-ok Yang erlebt über die Internet-Portale zuweilen „shit-storms“ von Militär-verliebten Landleuten: Die Pazifisten versündigten sich an der „heiligen Pflicht des Waffendienstes für das Vaterland“, ist hier der Tenor. Sie als Frau gelte als ‚nicht satisfaktionsfähig‘, werde beim Verfolgen ihrer Anliegen „wie Luft“ behandelt. Ein Soldat habe sie empört gefragt: „Wollen Sie behaupten, dass ich kein Gewissen habe?!“. 2007 gab es Planungen, ähnlich wie in Deutschland lange praktiziert, in Südkorea die Möglichkeit eines Zivildienstes zu eröffnen. Mit dem Machtantritt der Konservativen sei dieses Vorhaben dann aufgegeben worden. Es gebe in der Bevölkerung keine Mehrheit für diese Idee, werde seitens der Regierung argumentiert. Südkorea sieht sich seitdem mit einer Rüge der UN-Menschenrechtsorganisation (UN Council of Human Rights) konfrontiert. Nach deren Urteil ist die Inhaftierung von Kriegsgegnern illegal und stellt einen Verstoß gegen die Menschenrechte dar. Von den gegenwärtig weltweit rund 700 wegen KDV verurteilten Gefängnisinsassen sind rund 95% Südkoreaner. Etwa 20.000 Männer in Korea haben inzwischen aufgrund ihrer Ablehnung des Waffendienstes Knasterfahrung gesammelt. Myungjin Moon argumentierte in seinem Prozess beispielsweise mit der Beteiligung koreanischer Truppen am 2. Irakkrieg 2003 („Koalition der Willigen“). Er zeigte Bilder von Protesten vor US-Basen in Südkorea gegen diesen unter Vorwänden begonnenen Waffengang des damaligen US-Präsidenten George W. Bush gegen den Irak Saddam Husseins. Als er seine Gefängnisstrafe antrat, begleiteten ihn Freunde, Gesinnungsgenossen und Familienangehörige mit Plakaten vor das Tor der Haftanstalt. Im Gefängnis teilte er eine rund 40 Quadratmeter große Zelle mit 15 weiteren Gefangenen. Zwölf Stunden täglich (von 6 bis 18h) hatte er in der Gefängnisküche die Mahlzeiten für 600 Insassen vorzubereiten. Seine damalige mentale Verfassung sei durch die Unterstützung aus dem Freundeskreis und aufmunternde Briefe aus der ganzen Welt (Neuseeland, USA, D, F, CH, GB…) ‚im grünen Bereich‘ geblieben. Durch einen Infobrief von Amnesty International wurde Moons Fall 2012 weltweit bekannt gemacht. Heute arbeitet der Pazifist in der Hauptstadt Seoul in einem „Zentrum für Menschenrechtserziehung“. Nach dem Vortrag der koreanischen Gäste kam es in der Klasse zu einer angeregten Diskussion. Kollegiat Toni Liebing ist selbst Hauptgefreiter der Bundeswehr und äußerte Verständnis dafür, dass man sich als Koreaner nicht für einen Feldzug gegen den Irak zur Verfügung stellt. Anders verhält es sich aus seiner Sicht mit der Notwendigkeit der Landesverteidigung: „Wenn Südkorea keine bewaffnete Abschreckung praktizieren würde, hätte es der kaum pazifistisch zu nennende Norden doch schon geschluckt.“ Dieses Statement war Anlass zum kritischen Nachfragen, welche praktikablen Alternativen es zu Abschreckungsdoktrinen und zum Kultivieren von althergebrachten Feindbildern gibt. Der koreanische Gast erinnerte an die Mc Carthy-Ära in den USA der 50er Jahre, um das Irrationale und Unaufgeklärte von Projektionen und Feindbilddenken zu unterstreichen. Bei der Verabschiedung wurden die Gäste mit Applaus für das von ihnen geöffnete „Fenster in die fernöstliche Welt“ bedacht. Aus der Hand von Klaus Petri erhielten sie als Abschiedsgeschenke Mozart-Kugeln („better than canon-balls“), eine CD mit internationalen Friedensliedern (gesungen von der in Hohenahr wohnhaften Friedensaktivistin Lee Bach-Bayram) und einen Kalender mit Märchenillustrationen des Wetzlarer Künstlers Peter Atzbach.
Schulleiterin Verena Hohoff dankte Ernst von der Recke und den koreanischen Gästen für ihr Kommen und betonte, dass der Friedensgedanke – unabhängig von Staatsordnungen, Weltanschauungen und Religionszugehörigkeit – unbedingt weltweit als erstrebenswertes Ziel als Grundlage für ein lebenswertes Leben angesehen werden sollte.