Lg 45 spielt „Woyzeck“

Bericht über eine gelungene THEATER-Darbietung am letzten Schultag vor den Osterferien
Laila Hertstein, Anders Fischer und Davide la Monica absolvieren als Angehörige des Lehrgangs 45 gerade ihre Abiturprüfungen. Als Aktivposten im Fach ‚Darstellendes Spiel‘ hatten Sie sich für ihre Mitstudierenden für den letzten Schultag vor den Osterferien eine gelungene Überraschung ausgedacht. Ein kunstgerecht gestaltetes Plakat mit den dreien als Blickfang im Foyer des Hessenkollegs hatte die Schulgemeinde bereits neugierig gemacht. Mit einer knapp halbstündigen Adaption des „Woyzeck“-Stoffes (Dramenfragment von Georg Büchner, 1813 – 1837) gelang es den 3 Mimen, sich die Sympathien ihrer Kommilitonen und einen großen Applaus zu erspielen. Die optischen Eindrücke und das Textmaterial wurden verstärkt durch musikalische Talente: Davide la Monica schlug Gitarrensaiten an und Anders Fischer gefiel durch Klangfolgen auf dem Klavier. Laila Hertstein tanzte mehrere Partien und beeindruckte mit gekonnten Ballett-Figuren. Diese unterstrichen die erotische Spannung, das körperliche Begehren, das sich zwischen ihr und dem als „Cool-Checker-Lover“ agierenden, mit flottem Auto, Sonnenbrille und aufgeknöpftem Hemd daherkommenden „Womanizer“ Anders Fischer aufbaute. Maries Alltag ist grau und sorgenvoll. Das schreiende Kind strapaziert ihre Nerven, die Miete kann nicht mehr aufgebracht werden. Zwischen ihr und dem Kindsvater Franz Woyzeck kommt es zu Spannungen und gegenseitigen Schuldvorwürfen: „Kümmere du dich endlich um unser Kind!“ – „Bring du endlich mehr Geld nach Hause! Streng dich doch bei der Job-Suche mal an!“. Büchners Original-Woyzeck ist ein einfacher Soldat, der das kleinfamiliäre Pseudo-Idyll mit „Nebenjobs“ (Weidenstöcke schneiden, den Hauptmann rasieren, sich für medizinische Versuche – „Dauererbsenessen“ – hergeben) zu stabilisieren versucht und permanent gehetzt ist. Einen „Sturm der Liebe“ wird frau da nicht zu erwarten haben. Die Beziehung zwischen Franz und Marie ist durch Alltagstrott und permanente Frusterfahrungen geprägt. Pflichtbewusstsein gegenüber dem gemeinsamen Kind hält beide notgedrungen zusammen. Und wenn dann der erfolgsverwöhnte, mit einem polierten Sportwagen aufwartende „Mäjdscher“ Marie die erhoffte Karriere vom Aschenputtel zu seiner „Spitzenbraut“ in Aussicht stellt, geraten Sittsamkeit und Konventionen der jungen attraktiven Frau ins Wanken. Das wird von Laila Hertstein mit famosem Körperausdruck überzeugend und professionell gespielt. „Verführung“ ist in dieser Variante zugleich ungehemmte Passion und berechnende Manipulation. In Abwesenheit seines „Beuteobjektes“ Marie redet „Mäjdscher“ Fischer gegenüber den Zuschauern Klartext: „Die Weiber sind doch selten blöd: Ein bisschen Macker-Gehabe, rote Ledersitze, Komplimente über ihr Aussehen, Schmuck… und sie fressen dir aus der Hand.“ Woyzeck bekommt nicht nur Hörner aufgesetzt, er wird auch als prekär Beschäftigter vom zynischen „The-winner-takes-it all“-Kotzbrocken um den ihm zustehenden kärglichen Lohn gebracht und gedemütigt. Woyzeck reagiert gemäß der „Radfahrer-Reaktion“ (‚Nach oben buckeln – nach unten treten‘) und ersticht sein treuloses Weib. Die Schluss-Szene zeigt ihn blutbesudelt und verzweifelt. Sein Leiden gelangt nie zur Revolte. Die ausbleibende Rebellion gegen die Mächtigen, gegen die gegelten und gelackten Großkotze, die Suche nach dem kleinen privaten Glück, Eifersucht (‚eine Leidenschaft, die mit Eifer Leiden schafft‘) und Konkurrenzgesellschaft: Büchners Stoff aus der Vormärz-Zeit gilt zu Recht als aktuell und auf vielerlei Weise aktualisierbar. Büchners Woyzeck gehört zusammen mit Goethes Faust zu den meistgespielten Dramen auf deutschsprachigen Bühnen. Das Theater lebt, anderswo – und mit Anders Fischer, Laila Hertstein und Davide la Monica am Hessenkolleg in Wetzlar. Und als bewährter Theater-Techniker hat sich erneut Sebastian Weide (E2, LG 47/4) um das Theaterspiel am ‚hervorragenden Bildungsinstitut‘ verdient gemacht. DS-Lehrer Frank Becker verabschiedete die zufriedenen Zuschauer in die Osterferien und versprach einen weiteren Einblick in Kolleg-eigene Theaterproduktionen für Ende July (am Donnerstag vor den großen Ferien) auf der Kleinkunstbühne im „Harlekin“.