Poetry-Slam mit „Allen Earnstyzz“

Bericht über den Poetry Slam (Programm „Allen Earnstyzz“) am 23. Januar 2015 am Hessenkolleg

Poetry Slam eröffnet Zugänge zum kreativen Spiel mit Sprache und Literatur. Es gefällt jungen Leuten und hat in Wetzlar bereits Tradition. Der Wetzlarer Stefan Dörsing hat zusammen mit den beiden Berlinern Julian Heun und Temye Tesfu vor 80 Hessenkollegiaten und einer von Deutsch- und Kunstlehrerin Natascha Höfer unterrichteten Klasse der Freiherr-von-Steinschule das spritzig-witzige Programm „Allen Earnstyzz“ präsentiert. Anschließend schlugen die drei Slamer als Workshop-Animateure Funken der Literaturbegeisterung. Als „Vorgruppe“ wagten die beiden Deutschlehrer Frank Becker und Klaus Petri auf der Bühne einen eigenen „Sprung durch den sprachartistischen Feuerreifen“. Aus dem Publikum wurden ihnen drei Begriffe zugerufen, aus denen sie spontan eine Geschichte zu konstruieren hatten. Frank Beckers Tierstimmenimitator-Geschichte ging gut aus, nachdem es zuvor vielsagend „miaut“ hatte. Sein älterer Kollege musste aus den Zurufen „Planschbecken!“, „Brusttoupet!“ und „Fettsack!“ etwas basteln und landete thematisch bei der Sanierung des Wetzlarer Freibades „Domblick“. Seinen Schülerinnen und Schülern hatte der knapp 60-jährige Deutschlehrer zuvor zwei rote Boxhandschuhe entgegengereckt („Lehrer Lämpel schlägt zurück!“) und ihnen – in der Tradition der Weissagung des alten Indianerhäuptlings der Cree – folgende Prophezeiung eröffnet: „Hört gut zu, ihr PuberTäter! Irgendwann dann – oder später – werdet ihr wie eure Väter: Ihr werdet hässlich und vergesslich, werdet hässlich und vergesslich, hässlich und vergesslich, ??? vergesslich??? … TILT!“.  Nach diesem Entree übernahmen dann die Profis jene Bretter im gut gefüllten Mehrzweckraum, die „die Welt bedeuten“. Wo kommen all die komischen Wörter her, mit denen Oberstufenunterricht bestritten wird? „Uterus ist ein verdammt ulkiges Wort. Klingt ein bisschen wie ein römischer Feldherr: ‚Asterix und Uterus‘.“ Stefan Dörsing gab den sonst so wortkargen Pegida-Anhängern ein Gesicht und eine Stimme: „Ich hab nichts gegen Ausländer – aber die nehmen uns unsere Bananen weg! Jetzt ist Schluss mit Couscous! Mach die Biege, Suren-Sohn! Verschwinde, Kümmel-Lümmel!“ Beim Thema ‚deutsche Leitkultur‘ lautete der Befund mit Blick auf die völkisch Verstockten: „Wie soll man wissen wer man selbst ist, wenn man andere nicht ausgrenzt?!“. Beim Thema Stress erreichen die Gedanken eines Tagediebes theologisches Niveau: „Stress war für mich wie Gott. Ich habe ihn nie kennengelernt. Aber er war allgegenwärtig.“ Vulgärphilosophie („Nur die Harten kommen in den Garten“) ist „zu roh, um unwahr zu sein“. Für die Postmoderne gilt: „Gott ist tot. Hitler auch.“ Zur neuen Gottheit ist das Smartphone avanciert: „Smartphone, Smartphone in der Hand, wer ist der männlichste im ganzen Land?“ Gemäß dieser konfessionellen Ausrichtung ist „Berlusconi unser Bums-Prophet“ und hinter den Bergen wohnt „Conor, der Barbar“. Das Ideal der wiedererwachten Männlichkeit: „Die Frauen auf Händen tragen – auf jeder Hand eine andere.“ Aber „auch Hengste haben Ängste“. Im Chor wird mitgeteilt: „Sich das Männerbild bei Mario Barth machen, ist wie den Führerschein bei Mario Cart machen“. Literatur ist Trumpf: „Wir sind die Kids, die mit Tinte Rilke in die Ritzen spritzen.“ Suizidale Situationen gilt es dabei zu meiden: „Was dich tötet, macht dich nicht härter. Was dich tötet, macht dich zum Werther.“ Die Afrikaner, von „König Bob Marley regiert“, flüchten nach Europa, wo der Frontex-Beamte ihnen rät, im Mittelmeer „Toter Mann“ zu spielen, den Eintritt nach Europa gebe es „nur über meine Leiche“. Die Ausreisewilligen beschleicht die Erkenntnis: „Wenn das Leben zum Witz degradiert wird, dann ist der Tod die Pointe.“ Einigkeit herrscht beim familiensinnigen Trio in puncto Oma-Verehrung. Denn: „Was gibt es Schöneres im Leben als Omas Tortenstücke heben?!“ Über altersbedingte Verluste wird gütig hinweggesehen: „Sie weiß nicht mehr wo Opas Schraubenzieher steckt und hat für den toten Opa schon mal mitgedeckt.“ Schade nur, dass Omama nicht für Poetry Slam zu begeistern ist. Haupt-Adressat von deren Fan-Post bleibt Roland Kaiser: „Du bist der Störtebecker unsrer Kaffeefahrt…“.

Die Workshops mit den Coaches von der sprachkreativen Branche machten den Studierenden der E-Phase sichtlich Vergnügen: „Tabu-Begriffe“ mussten hinreichend geschickt umschrieben werden, bei einem „Anti-Assoziationsspiel“ musste auch das Konnotative, zwischen den Zeilen Mitgeteilte ausgeklammert bleiben. Auf dem Schulhof liefen die KleinkunstdebütantInnen dann im Kreis und mussten ihrem wechselnden Gegenüber eine überzeugende Semantik zu No-Go-Begriffen wie „Siebenbein“, „Stahlwurzel“ oder „Gummi-Biesel“ liefern.

                „Die Grenzen deiner Sprache sind die Grenzen deiner Welt“                                                                             lautet ein bekanntes Zitat des Philosophen Ludwig Wittgenstein.

An diesem 23. Januar sind am Hessenkolleg Wetzlar sicher einige Schlagbäume hochgegangen.

Poetry Slam –Trio “Allen Earnstyzz” (v.l.n.r.):
Julian Heun, Temye Tesfu, Stefan Dörsing

Ein von Fremdenangst Geplagter (S. Dörsing) 
wird vom Exorzisten (“Bischof” Temye Tesfu) kuriert