Bio-Kurs Lg 45 auf dem Heilkräuterlehrpfad

Bericht vom Besuch des Heilkräuter-Lehrpfades am Fuß des Braunfelser Schlosses durch Studierende des Bio-Kurses des LG 45 am Donnerstag, d. 25. September 2014

Der Braunfelser Botaniker Wolfgang Gerster, der lange Jahre die Fächer Biologie und Englisch am Hessenkolleg unterrichtet hat, gilt zu Recht als hervorragender Kenner der heimischen Flora. Auch im 81. Lebensjahr lässt er gerne die jüngere Generation an seinem umfangreichen Wissen teilhaben. Nicht trocken-akademisch dozierend, sondern mit Anekdoten und kulturgeschichtlichem Wissen gespickt sind seine Ausführungen, die er – in historischer Kostümierung – als der Theologe, Pharmazeut und Pflanzenkundler „Otto von Brunfels“ vorträgt. Das 1532-37 in Straßburg in 1. Auflage erschienene „Contrafayt Kreüterbuch“ des Renaissance-Botanikers wurde 1964 nachgedruckt. Die Zeichnungen stammen von dem Albrecht Dürer- Schüler Hans Weiditz. Kontakt und Gedankenaustausch hielt von Brunfels u.a. mit dem Zeigenossen und Fachkollegen Leonhart Fuchs, nach dem die Blütenpflanzengruppe der „Fuchsien“ benannt ist und der 1543 in Basel das „New Kreuterbuch“ herausgab. Otto von Brunfels machte in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts sein Doktor-Examen und praktizierte als Stadtarzt von Bern. Sein Auskommen fand er zeitweilig auch als Hoflehrer bei den führenden Köpfen der Reformation, Franz von Sickingen und Ulrich van Hutten.

Gerster ist Initiator des am Fuß der Schlossmauer angelegten Heilkräuterpfades, wo rund 3 Dutzend Heilpflanzen auf Tafeln vorgestellt werden – und die auch überwiegend an den verschiedenen Stationen „real existieren“. Zu den auffälligen Windungen seines Gehstockes befragt, gab Gerster als Auskunft, diese rührten von dem heimischen Epiphyten „Waldgeisblatt“ her, der dem Hasel-Spross diese korkenzieherartigen Windungen aufgenötigt habe. Zu Beginn des Heilkräuterpfades wurde der Geruch der Wurzel der „Gemeinen Nelkenwurz“ (früher ‚Wild Benedictenwurtz‘ genannt) klassifiziert. Er erinnert an den für Zahnarztpraxen typischen Geruch. Extrakte der Pflanze werden in der Zahnheilkunde als blutstillende Schmerzmittel (Lokalanästhetika) eingesetzt. 2 Studierende – beide vor der Kollegzeit als Zahnarzthelferinnen tätig – bestätigten das aus ihrer beruflichen Praxis. Essenzen des „Ruprechtskrautes“ (auch ‚Stinkender Strochschnabel‘ genannt) wirken – als Tee verabreicht – ovulationsfördernd. Der Tee wurde gegen ausbleibenden Kindersegen verabreicht. Viele historische Mythen ranken sich um den Wurmfarn (Dryopterix filix-mas), der seinen Namen der Tatsache verdankt, dass die Inhaltstoffe der Wurzel (als sog. Muskelrelaxanzien) Bandwürmer und große Spulwürmer zum „Loslassen“  zwingen, man sich somit ihrer entledigen kann. Große Anstrengungen wurden in der Zeit der Alchimisten unternommen, um der „Farnsamen“ habhaft zu werden („Der Same wird am Johannistag geworfen. Um dieses Aktes teilhaftig zu werden, muss man das Kraut beschwören und den Teufel anrufen“). Bei der Suche nach dem „Stein der Weisen“ galt die Handhabung von ‚Farnsamen‘ als wichtige Voraussetzung.  Auch sollte er gegen Feuer, Hiebe und Stiche schützen. Das heutige Wissen kommt ohne solche Mythen aus: Farne gehören zu den Sporenpflanzen, Samenbildung ist da nicht zu erwarten. Aber immerhin: Die historische Erkenntnis „mit Honig versetzt: treibt Würm aus“ hat auch heute noch Bestand. Auf Jahrmärkten feilgebotene „Farnsamen“, wusste ‚Otto von Brunfels‘ zu berichten, entpuppten sich nach von ihm vorgenommenen Untersuchungen als kleine Glasperlen. Die filigrane Farnart „Frauenfarn“ wurde damals fälschlicherweise als weibliches Pendant zum „männlichen“ Wurmfarn gedeutet. Der Giersch, von Gärtnern als Unkraut gefürchtet, wurde 600 v. Christus in Mitteleuropa als Gemüsepflanze eingeführt. Auch die Brennnesselpflanze (2 junge Blätter, 2 junge Knospen) ist – nach dem Blanchieren mit Pfeffer, Salz, Muskat und süßer Sahne abgeschmeckt – ein leckeres Gemüse. Die Pflanze enthält viel Eisen und Vitamin D. Die in Brennnesseln enthaltene Kieselsäure stärkt das Bindegewebe und ist bei der Haarwäsche als Beigabe von Shampoos beliebt. Das Efeu (vor der kaiserlichen Rechtschreibereform von 1901 „Epheu“ geschrieben) wurde bei ungewollten Schwangerschaften zur Auslösung von vorzeitigen Wehen (mit dem Ziel eines Abortes)  verabreicht. Das Wissen um diese Möglichkeit der „Familienplanung“ sollte ‚liederlichen Frauenpersonen‘ („Schleppsäcken und Schappel-Jungfrauen“)  vorenthalten bleiben. Und: „Alle frommen Frauen sollen sich hüten, Epheu-Saft zu trinken.“ Am Ende des Heilkräuterpfades wurde den Studierenden des Hessenkollegs der „gute Heinrich“ vorgestellt. In vorindustrieller Zeit wuchs er auf Schutthalden und in nährstoffreichen  ‚Schmuddelecken‘ der Dörfer und wurde als Spinatvariante verzehrt („macht einen milden Bauch“). Wegen des Vitamin C –Gehaltes war der gute Heinrich auch ein probates Mittel gegen Skorbut. Das an die Zipfelmützen der Heinzelmännchen erinnernde grüne Blattwerk des Wildspinates hat zu dem volkstümlichen Namen (Heinrich: „König über die kleinen Untertanen“) geführt.

Für die Studierenden des Hessenkollegs war der Ausflug ins benachbarte Braunfels eine Art ‚Studium generale‘, eine lehr- und abwechslungsreiche Exkursion ins Reich der Botanik, ins Reich der Mythen und zu spannenden Stationen der europäischen Kulturgeschichte.

Für botanisch und pharmazeutisch Interessierte ist eine 2011 im Quelle und Meyer-Verlag erschienene Buchveröffentlichung von Wolfgang Gerster von Interesse:  In dem schön bebilderten und mit historischen Illustrationen ausgestatteten 238-seitigen Band „Kräuterwissen – einst und jetzt“ (ISBN: 978 -3 – 494 – 01499 -9)  ist das pflanzenkundliche Wissen der Renaissance-Zeit mit dem Kenntnisstand der heutigen Zeit am Beispiel von über 100 interessanten Pflanzenarten synoptisch gegenübergestellt.