„DS“ im Harlekin 2013

Bericht über den traditionellen„HKWz-Theatersommer“ im Harlekin (am Do., d. 4.7.13)

„Eins haben die Kerls auf den Bäumen gehockt, behaart und mit böser Visage. Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt und die Welt asphaltiert und aufgestockt, bis zur dreißigsten Etage.“ Das ist so der typische Erich-Kästner-Sound, der Blick des skeptischen Bohemiens auf den Zivilisationsprozess. Dieser Chronist der Zeitenwende um 1930 stand im Mittelpunkt des aktuellen kollegialen Theaterschaffens. Der “Kerl“ Franco Becovics – alias Deutsch- Englisch- und DS-Lehrer Frank Becker – betrat mit einer düsteren Sonnenbrille und reparaturbedürftigen Jeans die Bretter, die die Welt bedeuten, und zitierte ausgiebig Erich Kästner. Genauer: dessen Vorwort zum Kästner-Roman „Fabian“, nicht selten ist das Unterrichtslektüre in Q3. Kästners Figuren agieren in einem sozialen Umfeld, in dem die traditionelle Partnerrollen der bürgerlichen Epoche ausgedient zu haben scheinen. Liebe ist zur Ware geworden, mithin käuflich, wie das meiste andere auch. Das EGO drängt auf Selbstverwirklichung, auf Experiment und Genuss. Den heraufziehenden Faschismus mit seiner rigide-spießig-dümmlichen Normierung aller Lebensbereiche begreifen die Fabians der späten Weimarer Zeit intuitiv als Bedrohung von Geist, Kultur, Stil und Wahrheitsanspruch. Der organisierte Zusammenschluss – zur kollektiven Abwehr der faschistischen Gefahr – unterbleibt allerdings. Individualisten wie der als Moralist auftretende Fabian haben eher ästhetische Einwände gegen die braune Barbarei. Kästners Fragen und Antworten sind andere als die des Marxisten und Zeitgenossen Bert Brecht.

Seinen Eléven aus dem Q2-DS-Kurs war die Aufgabe gestellt worden, auf der Basis von zwei Kästner-Gedichten eine szenische Collage mit viel Zeitcolorit zu entwickeln. „Der Abschiedsbrief“ beginnt mit den Zeilen „Zwei Stunden schon sitz ich im Café Bauer. Wenn du nicht willst, dann sag mirs ins Gesicht. Deswegen wird mir meine Milch nicht sauer. Ich pfeif’ auf dich, mein Schatz. Na schön, denn nicht. Du brauchst nicht denken, dass ich dich entbehre. Mit dem Verkehr mit dir, Das ist jetzt aus! Auch ich hab’ so etwas wie eine Ehre. Laß dich nicht blicken, Schatz, sonst fliegst du raus (…)“ In einem zweiten Kästner-Gedicht aus dieser Zeit geht es um Schreibmaschine-schreibende Bürofräuleins, von Stola-Lady Vanessa Gorek als „Tippsen-Chor“ angekündigt: „Wir hämmern auf den Schreibmaschinen. Das ist genau, als spielten wir Klavier. Wer Geld besitzt, braucht keines zu verdienen. Wir haben keins, drum hämmern wir. Wir winden keine Jungfernkränze mehr. Wir überwanden sie mit Vergnügen. Zwar gibt es Herren, die stört das sehr. Die müssen wir belügen. Zweimal pro Woche wird die Nacht mit Liebelei und heißem Mund, als wär’ man Mann und Frau, verbracht. Das ist so schön. Und außerdem gesund. (…)“ Beim synchronen Maschinenschreiben bewiesen Nadja, Yvonne und Sinja viel tänzerisches Talent. Auf die Nacht bezogene Phantasien lösten – „aber Hallo!!“ – die kleinen Schwarzen, (jetzt erst mal Luft holen – der Säzzer – ) raffiniert geschnittene Dessous und die Schminkkünste von Kommilitonin Lena Funck aus. Renate Engeter (herrlich: als Rosendame, die den Kavalier ohne eigene Rose, aber in Jackett und Hose empfängt, zurückweist und erneut umgart) und Timothy Rupp beim Tango-Tanz, der unverhohlen als Paarungsritual zelebriert wird. Marina Richard gab als Chansonsängerin der Weimarer Kabarett-Szene eine fesche Darbietung.

Birgit Willershäuser trimmte mit einem in Englisch gesungenen Leonard Cohen-Song und einem französischen Chanson die Vibrations wieder in Richtung Zimmertemperatur herunter. Die Schulband (F.B.: „Toll, dass ihr auftretet, ihr habt mir den Arsch gerettet“), die diesen Auftritt als Auftakt für den 30.8. verstand, gab dem „summernight-fever“ erneut Futter. Gary Dominguez, Laura Henschel, Noemie Jersak, Kim Lauterbach, Schreiber Mäx und Jan Kokemoor haben mit dazu beigetragen, dass die schöne Tradition der Kolleg-Theaterabende – immer am letzten Donnerstag vor den großen Ferien – erneut erfolgreich fortgesetzt wurde.