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Frauenkabarett 2013

Frauenkabarett „Kann denn Jubeln Sünde sein?“ am 21.2.2013 im Franzis

Bereits eine kleine Tradition ist die Zusammenarbeit zwischen dem Hessenkolleg und der Wetzlarer Antirassismus-Initiative „Bunt statt Braun“ in Sachen ‚engagierte Theaterkunst’

In den vergangenen beiden Jahren gastierte das Münsteraner Theaterensemble „Odos“ mit einem Stück über den Hitler-Attentäter Georg Elser und der szenischen Collage „Fluchtpunkt Israel“ am Kolleg. Am 20. Februar und am Folgetag gab es erneut den ‚Doppelpack’ aus öffentlicher Veranstaltung abends im Franzis und einer Matinee für Studierende des Kollegs.

In der Q-Phase sind die Grundlagen zum Verständnis von „Frauenleben in der Nazi-Zeit“ im Unterricht hinreichend erarbeitet, die künstlerische Inszenierung von gesellschaftlicher Wirklichkeit kann also mit wachen Augen verfolgt und begutachtet werden.

Die stellvertretende Schulleiterin Verena Hohoff wies in ihrer Begrüßung darauf hin, dass Wetzlar und der Lahn-Dillkreis eine „Modellregion für Integration“ sind. Sie bedankte sich für die finanzielle Unterstützung wertvoller Kultur- und Bildungsarbeit durch den Förderkreis des Kollegs und die Bundesinitiative „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“. Ihr Kollege Klaus Petri skizzierte die Geschichte des FRANZIS-Gebäudekomplexes, freute sich über die vielfältigen kulturellen Aktivitäten dort und führte ins Thema der Kabarettveranstaltung ein.

Einigen Gruppen war es zur Aufgabe gestellt, sich als Theaterrezensenten zu erproben.

 

„Deutschland! Helles, sauberes Heim, in dem eine Mutter waltet.“ Dieser Satz ist kein selbstgefälliger Ausruf auf Merkel-Deutschland. Er ist über 70 Jahre alt und gehört zu den vielen Text- und Liedquellen, die als szenische Collage unter dem Titel „Kann denn Jubeln Sünde sein?“ vor 160 Besuchern im Franzis geboten wurde. Das aus Köln stammende Kabarett-Duo Gisela Marx und Dorrit Bauerecker hatte zur „satirischen Geisterfahrt durch weibliches Bewusstsein im 3. Reich“ eingeladen. Ausnahmefrauen wie Anne Frank oder Sophie Scholl blieben dabei außen vor. Bei der Gattenwahl galt das arische Gebot, der Zukünftige habe „groß wie Goebbels, blond wie Hitler und schlank wie Göring“ zu sein. Aber es zählten auch innere Werte: „Gehn Se weiter, gehn Se weiter, Se sin ja bloß Gefreiter.“ Den ersten ordentlichen Kuss sparte frau sich als Oberschülerin für einen richtigen Leutnant auf. Amourös ambitionierte Jungfern wussten sich in ihrem Trachten mit dem Staatschef höchstselbst im Bunde und beruhigten ihre besorgten Mütter: „Der Führer möchte doch, dass wir ihm ein Kind schenken!“ Auf Abtreibung stand die Todesstrafe, wurden doch dadurch den braunen Machthabern ganze Divisionen an Kanonenfutter vorenthalten. Als der „Opfertod“ zur patriotischen Pflicht erklärt wurde, kam das Gisela Marx als gealtertem BdM-Mädel vertraut vor: „Von der Größe des Opfertodes hatte uns schon die Kirche erzählt.“ Gemäß dem „Handbuch für das erste Kind“ sollte die Mutter schon bei den Kleinsten ein Ekelgefühl gegenüber den eigenen Ausscheidungen entwickeln helfen. Ein Ekelgefühl gegenüber den kackbraunen Machthabern, wie es einer zivilisierten Nation gut zu Gesicht gestanden hätte, blieb aus. Die deutschen Volksgenossinnen hatten in der Küche zu tun. „Und von der Küche aus macht man keinen Aufstand.“ Mit dem Kunst- und Musikgeschmack der Nazi-Zeit ging Dorrit Bauerecker nonverbal ins Gericht. Die verfemte ‚Negermusik’ Boogie Woogie spielte sie in künstlerischer Perfektion am Klavier. Beim hausbackenen Akkordeonspiel im Polkatakt schaute sie mit gläubig-dösig aufgerissenen Augen ins Leere. Die Dirndl-Stickereien waren das Kunstvollste am Liedvortrag. Dem notorisch gesetzestreuen Reichsspießbürger galt der Stammbuch-Eintrag: „Hitler hat nie ein Gesetz gebrochen, er hat sie nur selbst gemacht.“ Der Brecht-Vers „Wer wollt auf Erden nicht das Paradies?! Doch die Verhältnisse – sie sind nicht so!“ erdete die musikalisch-kabarettistische Zeitreise im Hier und Jetzt. Und dies die ernüchternde Bilanz: „Damals sollte und wollte man deutsches Mädel sein –  heute soll und will man deutsches (Top-)Model sein.“ Das witzig-freche Spiel der beiden Rheinländerinnen wollte Mut machen zu anarchischen Akten der Selbstbefreiung: „Stell dir vor, das hätten alle gemacht: diesen Penner Hitler einfach ausgelacht.“

Die Matinee fand im 2. Block statt, der doppelte Spaziergang durch die Avignon-Anlage glich dabei einer Leibesübung mit  mäßigem Anforderungsgrad. Etwa 1 Dutzend Studierende, überwiegend für das Fach DS engagiert, folgten im Anschluss an das  95-minütige Programm der Einladung zum Gespräch mit den beiden Künstlerinnen. Beide trennt vom Alter her mindestens eine Generation. Gisela Marx, die ältere Partnerin, kommt vom Schulfach, hat vor ihrer Laufbahn als Künstlerin etwa 10 Jahre als Lehrerin gearbeitet. Sie hat sich intensiv mit Frauengeschichte und Emanzipation beschäftigt, was der Aussagekraft und atmosphärischen Dichte der Aufführung sehr zuträglich war. Die Studierenden fanden die Zeitumstände durchweg sehr eingängig beschrieben, illustriert und kommentiert. Der „ausbleibende Aufstand normal tickender Frauen“, der angesichts des herrschenden Irrsinns eigentlich das Normale hätte sein sollen, war leitmotivisch für das Theaterstück – und bestimmte auch die Diskussion danach im kleineren Kreis. Neben der allgegenwärtigen „Peitsche“ hatten die Nazis eben auch jede Menge „Zuckerbrot“ verabreicht. Und vor Kriegsausbruch traf es ja auch überwiegend erst einmal „die anderen“. „Die Kommunisten waren die einzige größere Gruppe, die geschlossen nicht gejubelt haben“, lautet das bittere Fazit von Gisela Marx. Und gerade denen mochte man nach der Katastrophe „keine Denkmäler setzen“. „Den Aufstand machen? Das hätten die uns nie erlaubt!“, lautete im Stück die gallige Kommentierung zu Mitläufertum und Indifferenz. Und heute? Schnauzbärtige, sich heiser schreiende Demagogen mit dem Vaterland als Braut-Ersatz im Herzen sind kaum noch unterwegs. Indes laden „Hohle Idole“ mit viel medialem Aplomb zum „Casting“ ein, finden akademisch klingende Partnerbörsen à la „Bachelor“ Anklang bei Jugendlichen, durchdringen Konsumismus und Kommerzialisierung alle Lebensbereiche – und der „Aufstand dagegen“ bleibt immer noch aus. Lena (LG 44) äußerte die Idee, dass ihre Elterngeneration fast alles an Spaßbarrieren weggeräumt habe, sodass jungen Menschen an kämpferischer Herausforderung kaum noch etwas bleibe. Oder gibt es viel zu tun, ohne dass man/frau sich entscheiden mag, wo damit angefangen werden soll? Ex-Kolleglehrer A. Löfflat riet jungen Leuten, unbeeindruckt von mainstream-Zwängen „ihr Ding“ zu machen und sich dabei auf einen selbst gewählten Bereich zu konzentrieren. Deutschlehrer K. Petri verwies auf die Installierung des Unterrichtsfaches ‚Darstellendes Spiel’ („Das war vor 15 Jahren längst keine Selbstverständlichkeit!“) am Hessenkolleg, wo sich kreative, auf Veränderung und Selbstfindung drängende Potentiale erproben können. Eine Art „Motivationsschub“ in diese Richtung dürfte, nimmt man Studierenden-Äußerungen als Maßstab, mit der Kabarett-Matinee jedenfalls gelungen sein.