theater-odos-1

Theateraufführung „Fluchtpunkt Israel“ (Theater Odos) im Hessenkolleg

Theateraufführungen und literarische Matineen haben am Kolleg bereits Tradition. Im vergangenen Jahr (Ende Januar 2011) gastierte das Münsteraner Theater-Duo „Odos“ bereits

mit einem Stück über den Attentatsversuch des schwäbischen Schreinergesellen Georg Elser (November 1939 in München: „Ich habe den Krieg verhindern wollen!“).  Auch in dem am 24.1.2012 im Mehrzweckraum vor 90 Studierenden gezeigten Stück „Fluchtpunkt Israel“ geht es um menschliche Katastrophen vor dem Hintergrund des von den Nazis vom Zaum gebrochenen 2. Weltkrieges.

Zum Inhalt des Stückes:                                                                      

Im Februar 1942, etwa zeitgleich mit der berüchtigten Berliner Wannseekonferenz und deren Beschluss zur ‚Endlösung der Judenfrage’, befinden sich 769 Flüchtlinge an Bord eines  16 Meter langen und 6 Meter breiten Holzschiffes namens „Struma“ auf offener See. Auf der Flucht vor Deportation, Mord und Totschlag haben sie sich gegen viel Geld im Schwarzmeerhafen Constanza eingeschifft, um über den Bosporus ins damals britisch kontrollierte Palästina zu entkommen. Aus diesem historischen Stoff hat das Münsteraner Theater-Duo „Odos“ eine beeindruckende szenische Collage über Identitätssuche, Flucht, Vertreibung und Rassenwahn erstellt. Drehbuchautor ist der studierte Theologe Heiko Ostendorf, den schauspielerischen Part hat der aus Österreich stammende Konrad Haller inne. Im Stück „Fluchtpunkt Israel“ gibt es kein Happy-End. Wie unzählige andere Schiffe auch erreicht die „Struma“ nie ihr Ziel. Die Hauptfigur an Bord ist ein junger Mann aus Deutschland, den die Nürnberger Rassengesetze der Nazis zu einem Juden gemacht haben, der aber selbst so gut wie nichts über jüdischen Glauben und jüdische Kultur weiß. Beim Kartenspiel gewinnt er von seinem Pritschen-Nachbarn Aaron einen 8-armigen Chanukka-Leuchter. Als besondere Geste an das Wetzlarer Publikum wurde ein Exemplar aus dem Haushalt der langjährigen Wetzlarer Stadtverordneten Gisela Jäckel verwendet, deren Mutter Rosa Best wie auch die Großeltern Josef und Berta Lyon deportiert und ermordet wurden. Nach 14-stündiger Fahrt der „Struma“ übers Schwarze Meer keimt beim Anblick erleuchteter Hafengebäude der türkischen Metropole Istanbul zunächst Hoffnung auf. Zum „Hochzeitsmarsch“ des Komponisten und Judenhassers Richard Wagner wird gar getanzt. Der Zuruf an die fröhlichen Passagiere eines vorbeifahrenden Ausflugsdampfers „Na, habt ihr Spaß?!“ ist aber bereits von Bitternis und Verzweiflung diktiert. „Wir sind schon tot, Gespenster sind wir!“, entfährt es dem Protagonisten. Im legeren Hawaii-Hemd hinter einer Milchglasscheibe geführte Dialoge bleiben träumerische Fiktion. Die kriegsplanerische Realität des britischen Palästina-Gouverneurs Sir Harold Mac Michael ist ohne Erbarmen. „Versenken“ scheint ihm die probate Lösung, um Nachahmer vom Exodus aus Europa nach Palästina abzuhalten. Im Falle der Struma kappten türkische Polizisten die Ankerketten, schleppten das Schiff aufs Schwarze Meer zurück, wo es von einem Torpedo unbekannter Herkunft getroffen wurde. Von den knapp 800 Menschen erreichte einer schwimmend die türkische Küste, 8 andere hatten Einreisevisa in die Türkei besessen und waren vorher bereits von Bord gegangen.

Dem mit Applaus bedachten Auftritt von Konrad Haller und Heiko Ostendorf (er intonierte mit der Bass-Gitarre u.a. einen stotternden Dieselmotor, eine zionistische Hymne und den Hochzeitsmarsch aus Richard Wagners Lohengrin) schloss sich im Kreis von Theater-interessierten Studierenden des Hessenkollegs ein Gespräch über Möglichkeiten des Theaters, über Themenwahl und Inszenierungsentscheidungen an. Die Verwendung der SS-Runen im T-Shirt-Aufdruck „KISS“ machte neugierig, ebenso das Verhältnis von Fiktion und Realität bei der Gestaltung des Drehbuches. Lina Kaschmieder, Mitglied der Schulkonferenz des Hessenkollegs, fragte nach anderen, aktuelleren Stoffen aus dem Repertoire von „Theater Odos“.  Heiko Ostendorfs Antwort machte klar, dass nicht nur „schwere Kost“ – historisch düstere Stoffe – zur Themenpalette des Münsteraner Teams gehören. In einem Stück geht es zum Beispiel um Zweckentfremdung von Schüler-Handys für Voyeurismus und Mobbing.

Möglicherweise sieht man sich ja im nächsten Jahr wieder?