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Bericht über die Kairo-Erlebnisse der Lehrerin Elke Hofmann

Von 1990 bis 2008 unterrichtete die 56-jährige Oberstudienrätin Elke Hofmann die Fächer Biologie und Chemie am Wetzlarer Hessenkolleg. Als ihre erwachsenen Töchter Sarah (27) und Nina (23) das Elternhaus in Heuchelheim verlassen hatten, bewarb die Mutter sich um eine Lehrtätigkeit im Auslandsschuldienst. Seit zweieinhalb Jahren unterrichtet sie an einer katholischen Mädchenschule in Kairo.

Das Lehrerkollegium des vom Orden der „Borromäerinnen“ (mit Stammsitz im sauerländischen Schmallenberg) unterhaltenen Schule besteht aus 20 ägyptischen und 30 deutschen Lehrkräften. Allgemeine Unterrichtssprache ist Deutsch, lediglich das Fach „Bürgerkunde“ wird in der Landessprache unterrichtet. Die 650 Schülerinnen sind zu einem Drittel koptische Christinnen und zu zwei Dritteln Muslima. Wegen der hohen Reputation der Deutschen Schule ist die Nachfrage unter Ägyptern groß, nur etwa 10 Schülerinnen haben Deutsch als Muttersprache. Unterrichtet wird in den Klassenstufen 1-12 (jeweils zweizügig).

Das Schulgebäude befindet sich 400 Meter vom zentralen Tahrir-Platz entfernt. Dass sie einmal Augenzeugin einer Revolution werden würde, hatte die Lehrerin nicht erwartet. Dennoch lag seit dem Terrorakt gegen koptische Gottesdienstbesucher in der Silvesternacht „etwas in der Luft“: Hofmann hatte im Vorfeld kleinere Demonstrationen wegen ausbleibender Gehälter vor dem Innenministerium und am Gebäude der Rechtsanwaltskammer wahrgenommen, die aber sofort von Polizeikräften umstellt waren. „Die Unzufriedenheit der – oft gut ausgebildeten – jungen Leute ist sehr groß, sie wollen frei leben und orientieren sich am westlichen Wohlstandsmodell. Sie lassen sich aber nicht vereinnahmen. Natürlich sehen sie, dass Hosni Mubarak mit seinem korrupten Regime ein Günstling des Westens ist und mit 1,5 Mrd. Dollar Militärhilfe jährlich an der Macht gehalten wird“, resümiert Elke Hofmann. Die „Wahlen“ im 80 Millionen-Staat seien ein „Theaterstück“, an dem weniger als ein Viertel der Ägypter teilnimmt. Die Gewerkschaften spielen keine große Rolle, allerdings könnten die gerade aufflammenden Streiks in Industriebetrieben und am Suez-Kanal dem Volksaufstand eine neue Qualität verleihen. Die oppositionelle Muslim-Bruderschaft werde wohl dann deutlich an Zulauf gewinnen, wenn der gegenwärtige Schwebezustand noch länger anhält, schätzt die Pädagogin ein.

Elke Hofmann kam am letzten Januartag mit einer Lufthansamaschine nach Hessen zurück. Die Tage vorher waren, ebenso wie die Umstände der Ausreise, alles andere als normal. Mit Beginn der Revolution kamen nur noch ein Drittel der Schülerinnen zum Unterricht. Die Schulleitung beschloss eine außerordentliche Verlängerung der ohnehin anstehenden Semesterferien und riet den Lehrkräften, in ihren Wohnungen auszuharren. Dort wurden dann vom Mubarak-Regime alle Internet- und Handy-Verbindungen gekappt, um die Mobilisierung für die anschwellenden Massendemonstrationen zu erschweren. Hofmann erreichte mit einem im deutschen Netz verorteten Mobiltelefon ihre Tochter Sarah, die einen Flug mit „Egypt-Air“ buchen konnte. Die Buchungsbestätigung kam über 3 Stationen per Fax in einer Kairoer Zeitungsredaktion an. Der dort tätige Journalist ist der Wohnungsnachbar der Deutschen und hatte ihr dringend zum Abflug geraten. Der Flug wurde schließlich annulliert. Den nächsten Anlauf zum Ticket-Erwerb unternahm Tochter Sarah dann über eine Service-Hotline der Deutschen Botschaft, deren Gebäude auf einer Insel im Nil steht. Lebensmittel und Trinkwasser machten das schnell zusammengestellte Fluggepäck aus. Am Flughafen war dergleichen nicht zu bekommen, die Stimmung dort war gereizt. Dennoch konnten etwa 3000 der insgesamt rund 5000 Deutschen aus Kairo und Umgebung relativ normal evakuiert werden. Auch einige schwerreiche Ägypter suchten zeitgleich mit ihren Privatjets das Weite. Der Besitzer des Hauses, in dem Hofmann ihre Kairoer Wohnung hat, ist zu seinem in den USA lebenden Sohn geflohen. Bisher war der Schuldienst in Ägypten für die 56-jährige Heuchelheimerin „eine superinteressante Erfahrung“.

Angst um ihr Leben hatte sie während des Aufruhrs nicht. „Aber man kann natürlich auch zufällig in äußerst brenzlige Situationen geraten.“ In der letzten Januarwoche wurde sie Zeugin von Plünderungen, sah zerstörte Polizeistationen und das brennende Gebäude der Staatspartei. Sicherheitsdienste gaben Warnschüsse ab und Imame riefen vom Minarett aus zur Bildung von Bürgerwehren auf. Hofmann sah tags darauf den Hausverwalter und weitere junge Männer, die mit Knüppeln und Stichwaffen für Ordnung in ihrem Kiez sorgten. Die aktuelle Entwicklung verfolgt Elke Hofmann jetzt in ihrer Heuchelheimer Wohnung übers Internet und per Telefonkontakt mit einem Bekannten in Kairo. Von der „Zentralstelle für das Auslandsschulwesen“ erwartet sie demnächst die Benachrichtigung, wann der zunächst für 3 Jahre vorgesehene Dienst in der ägyptischen Hauptstadt wieder aufgenommen werden kann.