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Bericht über den HKW-Theaterabend zum Semesterabschluss im Harlekin

Der Text auf dem  Einladungsplakat zum diesjährigen Theaterabend war vom DS-(=Darstellendes Spiel) Lehrer Frank Becker apodiktisch formuliert worden: „Wir sehen uns im Harlekin (…) Wagen Sie nicht zu widersprechen!“ Und wahrscheinlich hat es niemand von den – solcherart zum Kulturgenuss ‚genötigten’ – über 100 Besucherinnen und Besuchern (darunter viele Ehemalige des Kollegs) bereut, den traditionell zum Sommersemester-Ende vorgestellten Theater-Produktionen in diesem Jahr beigewohnt zu haben.

Die meisten Akteure gehören dem LG 41 an, der im Herbst dieses Jahres ins Abitur gehen wird.

3 Stücke waren von den Studierenden ausgewählt und nach selbst gesetzten Maßstäben mit ausgewählten Szenen inszeniert worden.

… Dantons Tod …

(1835) von Georg Büchner

Der aus der Nähe von Darmstadt stammende Arztsohn Georg Büchner, der Medizin in Gießen studierte und als 23-jähriger Universalgelehrter 1 Jahr vor seinem Tod bereits eine Professur in Zürich inne hatte, thematisiert in seinem Drama Ereignisse während der Jakobinerdiktatur (1793/94) im revolutionären Frankreich, als „die Revolution ihre Kinder fraß“. Büchner zeigt das Umschlagen ursprünglich freiheitlicher Ideale in eine von zynischem Zweckrationalismus bestimmte Willkürherrschaft. Georg Büchner, Mitverfasser der revolutionären Flugschrift „Hessischer Landbote“ (mit dem bekannten Satz „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“) hinterfragt – inzwischen skeptisch gegenüber den Veränderungspotentialen einer Gesellschaft geworden – angesichts einer selbst zerstörerischen  Geschichtsdynamik die Handlungsmöglichkeiten des Subjekts. Nur in einer stark gekürzten und von sexuellen Anspielungen „gereinigten“ Version konnte das Stück 1935 in Druck gehen. Auch fand sich lange kein Theater, das es in Deutschland wagte, Büchners Revolutionsdrama auf die Bühne zu bringen. Erst im Jahre 1902 kommt es in Berlin zur Uraufführung.

Mitwirkende:  Stefanie Balasch, Anna Stumpf, Steffen Peter, Raphael Kühn

 … Don Juan…    

(1665) von Moliere

„Don Juan (spanisch) oder Don Giovanni (italienisch) ist der Inbegriff des Frauenhelden und Freigeistes, eine grundlegende Gestalt der europäischen Dichtung. Man kann in ihm den Archetyp der Maßlosigkeit sehen, der sich über sämtliche tradierte Normen hinwegsetzt und dadurch die geltenden Werte und Ideale in Frage stellt“, heißt es bei Wikipedia. Die Aktualität des Don Juan liegt in der Betonung des Triebhaften, des unreflektierten Genusses. Conny „Cornelia“ Kaufhold (alias Konrad Kaufhold) ließ seine Raubtiernatur mit den Acessoires offenes weißes Hemd und protzige Rollex-Armbanduhren anklingen. Statt geistvoller Konversation hatte er für seinen Diener (mit betont masochistischer Servilität überzeugend gespielt von Matthias Adams) und seine Gespielinnen (Ina Schell als gutgläubiger – aber längst schon abservierter – „Gretchen“-Typ und Ann-Kathrin Willershausen als frivol gestylte „One-night-stand“-Buhlschaft) barsche Zurechtweisungen und großkotzig-höhnische Sprüche parat. Wer seinen Weg kreuzt, muss unerwartete Kopfnüsse und Rempler hinnehmen. Das „Alpha-Tier“ lässt in seiner Umgebung nur „Opfer“ und „Idioten“ gelten. Als ein von ihm geprellter Gläubiger (gespielt von Simon Lehnhardt) ihm einen Besuch abstattet, changiert Don Juan zwischen der Rolle des schmierig-schmeichelnden Gastgebers und der des Zähne-fletschenden Raubtieres, das lästige Bittsteller mal eben „platt macht“. Der scheinbar Rückgrat-lose, vielfach herum geschubste Diener von Don Juan ist es schließlich, dem als erstem die Einsicht dämmert: „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!“. Vor Entsetzen starr, erlebt der Despot am Ende alle Phasen seiner Demontage: Der Diener schlägt zurück, die Rollex-Uhren  werden ihm von beiden Handgelenken gestreift und die komplett desillusionierten Ex-Geliebten prusten ihm Champagner ins fassungslose Gesicht und verhöhnen sein „Tele-Tuppies-Orgasmus-Gemächt“. Die Luft ist am Ende komplett heraus, auf Hochmut und Krösus-Gehabe kommt der tiefe Fall. Der lange Applaus für die schauspielerische Leistung aller Schauspieler(innen) war verdient. Stefan Dörsing war in diesem Stück in besonderer Mission unterwegs. Mit einem Frottee-Bademantel und einem schrecklichen, dem Sächsischen ähnelnden Akzent ausgestattet, sammelte er Bierdosen ein und kommentierte nebenbei das Geschehen auf der Bühne. Als es – man erwartet es irgendwie von einem Stück zu „Don Juan“ – um Liebe ging, zitierte der Tramp lakonisch den Schriftsteller Erich Kästner: „Die Liebe ist ein Zeitvertreib – man macht es mit dem Unterleib.“

Mitwirkende: Ina Schell, Ann Kathrin Willershausen, Matthias Adams, Stefan Dörsing, Simon LehnhardT

 … Die Hexen von Eastwick…

(1985)  John Updike

Was passiert, wenn in das von biederer Langeweile geprägte Leben dreier geschiedener Frauen, welche ohne Mann als Außenseiterexistenzen in einer konservativen Kleinstadt Neuenglands leben, die Versuchung hereinbricht? Wenn sie bei einem Kaffeeklatsch beschließen, sich einen Traummann zu erschaffen, der ihre Bedürfnisse befriedigt? Hier sind grundsätzliche Wandlungen vonnöten, welche die drei Frauen (gespielt von Irina Ibragimov. Madeline Mundt und Ute Schmitz)  innerlich wie äußerlich vollziehen. Sitzen Sie in der Eingangsszene noch – die schönen Augen hinter Kassengestellbrillen verbergend und mit züchtigen Hochfrisuren – strickend und in melancholischem Schmerz vereint beieinander („Wir waren viel zu gut für diese Schufte von Männern!“), kommt mit einer „Super-Domina“ in schwarzer Reizwäsche und beeindruckender, vital-sinnlicher Körperlichkeit (Sandra Ramos Lopez) der personifizierte Wendepunkt in ihr Leben. Die bisher präferierte Lektüre (das Bundesgesetzblatt, die Bibel und der „Benimm-Knigge“) fliegen ebenso wie die Brillen und Körperkurven-verhüllende Oberbekleidungsstücke auf den Boden,  ein libertär-anarchisches Lebensgefühl durchpulst die sich lasziv wiegenden und erotisierend tanzenden Frauenkörper. Ihre Hexenmeisterin sorgt mit drohender, befehlsgewohnter Stimme und derbem Körpereinsatz dafür, dass niemand aus dem diabolischen Reglement auszuscheren wagt. Den Nachwuchshexen dämmert es denn auch bald, dass sie wie Marionetten agieren und dass sie sich vom übermächtigen Schatten der Oberhexe befreien müssen: Sie rebellieren, bringen ihren Fixstern gar ins Trudeln. Auch hier ist Wandel angesagt. Eines männlichen Protagonisten hat die vorgestellte Inszenierung allerdings von Anfang bis Ende nicht bedurft. Vielleicht geht’s ja tatsächlich ohne Männer (besser)?!

„Times – they are a changing“  (Bob Dylan)

Mitwirkende:  Irina Ibragimov, Madeline Mundt, Sandra Ramos Lopez, Ute Schmitz

 Unter den Gästen befanden sich auch Ex-Kollegiat(inn)en, die vor einem halben Jahr eine Abiturprüfung im Fach ‚Darstellendes Spiel’ absolviert haben und in dieser Spur weiterzumachen gedenken (Studium der Theaterwissenschaften). Das Hessenkolleg ist derzeit die einzige Oberstufenschule in Mittelhessen, die „Darstellendes Spiel“ auch als Abiturprüfungsfach anbietet. Die besondere Wertschätzung fürs Theaterspiel fand einen sichtbaren Ausdruck in den Rosen, die alle auf der Bühne Beteiligten am Schluss aus der Hand von Schulleiterin Christel Streubel-Piepkorn entgegennahmen.