Pferdeköpfe und Römer in Waldgirmes

Exkursion von Studierenden des LG 50 am 1.2.2018 zum Römerforum Waldgirmes

Im Geschichtsunterricht des 1. Semesters der Einführungsphase hatten sich die Studierenden des LG 50 mit griechischer und römischer Antike beschäftigt. Die Umstände der Ermordung Cäsars 44 vor Christus, die anschließende Ablösung der republikanischen Periode durch die Kaiserzeit noch vor Christi Geburt, der vom Cheruskerfürsten Hermann („Arminius“) angeführte Germanenaufstand 9 nach Christus und der Jahrzehnte später erfolgte Bau des Limes sind im Unterricht behandelt worden. In diesen Zeitraum fällt die mit etwa 2 Jahrzehnten recht kurze Existenz der Römersiedlung vor den Toren Wetzlars, wo alte Geschichte plötzlich exemplarisch greifbar wird. Deren Spuren und Zeugnisse waren Ziel einer dreistündigen Exkursion am Ende des Wintersemesters, nachdem in der Schule bereits „alle Messen gelesen“ waren.

Am rund 1,5 km entfernt vom Wetzlarer Stadtteil  Naunheim  (Richtung Waldgirmes) gelegenen, „Römerforum“ genannten Grabungsgelände wartete Hartmut Krämer vom Förderkreis Römisches Forum e.V. in Begleitung der 16-jährigen Praktikantin und Herder-Schülerin Chantal Klinder auf die Gruppe Hessenkollegiaten. Anhand von Schautafeln brachte Herr Krämer (zunächst auf dem Forum-Gelände, später in den Räumen des Vereins, wo Asservate und Miniaturen ausgestellt sind) den Ausflüglern die Zeit um Christi Geburt für die römisch-germanische Grenzregion nahe. Die nur kurze  Existenz des Römerlagers an der Lahn (mutmaßlicher Name: „Matiacum“) endete mit den „Germanenfeldzügen“ (von 12 v. bis 16 n. Christus), als deren Höhepunkt die „Varus-Schlacht“ (9 n. Chr.) gilt. Mit 7,7 ha war das nordwestlich von Waldgirmes gelegene Areal größer als das vor über 100 Jahren von Kaiser Wilhelm rekonstruierte Limes-Kastell Saalburg. Der römische Kaiser Augustus hatte im Jahre 9 vor Christus verfügt, dass die östlich des Rheins gelegenen Gebiete als „Provinz Germanien“ dem Römischen Reich einzuverleiben seien. Die Landnahme erfolgte durch Erkundungstouren entlang der Flüsse Lahn und Lippe. Während an der Lippe alle 30 Kilometer ein Militärlager zur Abwehr widerspenstiger Germanenstämme errichtet wurde, scheint es nördlich der Wetterau zu einem zeitweilig gelungenen „Multi-Kulti-Projekt“ mit keltischer, germanischer und römischer Beteiligung gekommen zu sein, wie die Zusammensetzung der Keramik-Funde auf dem Ausgrabungsgelände vermuten lässt. Luftaufnahmen zur Topografie des Geländes bestätigten den Verdacht, dass auf dem später landwirtschaftlich genutzten Areal im Altertum eine trapezförmige Siedlung existiert haben muss.  Zur Sensation gerieten die Recherchen an einem Brunnenschacht, als der berühmte und inzwischen offiziell mit 1,6 Millionen Euro wertgeschätzte Pferdekopf einer Augustus-Reiterstatue aus vergoldeter Bronze am Grund des mit Brettern ausgekleideten Brunnens entdeckt wurde. Es wurden in der weiteren Umgebung 27 kg Fragmente von wahrscheinlich mehreren Reiterstatuen gefunden, darunter auch ein Reiterfuß. Im Brunnen waren auch acht neuwertige Mühlsteine eingelassen, was dafür spricht, dass die mit Gräben und einer Umwehrung aus Palisaden versehene Siedlung 17 nach Christus unter äußerem Druck aufgegeben werden musste. Eine Asche-Schicht auf dem Areal wertet man als Indiz, dass das Lager von den mutmaßlich rund 600 Bewohnern in Brand gesetzt wurde. Mit Hilfe einer im Grundwasser konservierten Holzleiter konnten exakte Datierungen vorgenommen werden, erfuhren die Besucher. Der für 50 Tausend Euro komplett restaurierte Pferdekopf wird der Öffentlichkeit vorerst nicht gezeigt, soll aber später auf dem Saalburg-Gelände ausgestellt werden. Für die Dokumentation in Waldgirmes ist eine originalgetreue Kopie angefertigt worden.  Die in den letzten Jahren asservierten Fundstücke – darunter eine Perle mit eingravierten Motiven, die Reste eines Holzschwertes,  mehrere Amphoren und eine metallene Pfeilspitze – werden derzeit in der Geschäftsstelle des Fördervereins Römisches Forum in der Waldgirmeser Georg Ohmstraße gezeigt, ebenso Miniaturen und zeichnerische Rekonstruktionen zum Römerlager. Geplant ist, am Ortsrand neben dem Forumgelände einen Ausstellungspavillon zu errichten. Dessen Finanzierung (insgesamt 700.000 Euro) ist jedoch noch nicht gesichert. „Die politischen Gremien der Gemeinde Lahnau sind sich in dieser kulturhistorisch so bedeutsamen Angelegenheit leider nicht einig. Und auch große heimische Firmen mit einem internationalen Kundenkreis, auf die wir als Sponsoren gesetzt haben, verhalten sich äußerst zurückhaltend“, erklärte Hartmut Krämer die noch bestehenden Hürden für das Projekt. Blickfang auf dem ehemaligen Grabungsgelände ist eine in Bronze gegossene Reiter-Statue, die auf einem weißen Kalkstein-Sockel ruht. Der Stein – er stammt aus einem schon vor 2000 Jahren genutzten Steinbruch an der Mosel –  ist ein Geschenk der früheren Römersiedlung Mainz an die Waldgirmeser. Die Blickrichtung des leger mit einem Umhang bekleideten Reiters ist gen Rom orientiert, dessen schmächtig-jugendliche Gestalt hat nichts Militärisches. Der Original-Pferdekopf – den eine Plakette des römisches Kriegsgottes Mars ziert – wird erst 2008/9 in 11 Metern Tiefe gefunden, nach der Installation der Reiterstatue. Neben Handwerkerunterkünften hat es auf dem Gelände wohl auch Militärbaracken für etwa 150 Legionäre gegeben. Die Bebauung unterscheidet sich insgesamt in der Struktur wie auch in den einzelnen Gebäuden von zeitgleichen römischen Militärlagern. Insbesondere das über steinernen Fundamenten errichtete 2200 qm große Bauwerk im Zentrum verweist auf eine zivile Nutzung. Drei Flügel umgaben einen Innenhof, der im Norden durch einen großen Hallenbau abgeschlossen wurde. Die ehemaligen Holzbalken sind beim Graben als dunkle Verfärbungen präsent. Anders verhält es sich mit Hölzern zur Abstützung des Brunnenschachtes, die durch das umgebende Grundwasser über zwei Tausend Jahre hinweg konserviert worden sind. Einem Weinfass am Brunnengrund konnte als Herkunftsort die französische Provence zugeordnet werden. Der Fernhandel wurde über die Flüsse abgewickelt. Ein Wege- oder Straßensystem hat es östlich des Rheins zur Römerzeit nicht gegeben. Einige Studierende hantierten mit dem „Gladio“ genannten römischen Kurzschwert und erhielten auch eine Erklärung dafür, dass die 15 Kilogramm schweren eisernen Kettenhemden der römischen Legionäre nicht rosteten: Bewegung bedeutete Abrieb, der Rost hatte schlicht nicht genügend Zeit, um sich festzusetzen. Apropos Legionäre: 10.000 Euro hat der Verein Römerform Waldgirmes dafür ausgegeben, dass 15 Männer aus Lahnau und Umgebung sich in Legionärsausrüstung öffentlich präsentieren können. „Die Laien-Schauspieler kommen aus allen Berufen und Altersgruppen. Weil auch geschickte Handwerker darunter sind, können wir vieles in Eigenarbeit machen“, erläuterte Hartmut Krämer. Bevor man sich mit Applaus und Dank verabschiedete, griffen einige Studierende am Büchertisch zu, wo man außer Fachliteratur auch Belletristik und ein Kochbuch mit römischen Gerichten sowie aus Ingelheim/Rhein stammende „römische Gewürzweine“ in zwei Varianten erstehen konnte.