Kunst-Matinee am Kolleg

Vortrag und Präsentationen des Bildhauers Ubbo Enninga am 15 09 17

Dass ein Siebzehnjähriger sich für den Beruf eines freischaffenden Bildhauers entscheidet, ist wohl eher selten. Der 1955 in Biedenkopf geborene und jetzt in Stuttgart lebende Skulpturist Ubbo Enninga hat diesen Weg beschritten und blickt inzwischen auf über 45 Jahre künstlerisches Schaffen zurück. Vor den Studierenden den Hessenkollegs gab er Einblicke in seine Künstlerlaufbahn, in Entstehungsprozesse von der ersten Idee bis zur fertigen Skulptur, in Motive, Techniken und ästhetische Maßstäbe seiner Bildhauerei. „Im Kunstunterricht an der Lahntalschule Biedenkopf hatte ich ein Vertrauensverhältnis zu meinem damaligen Lehrer. Der überließ mir schon mal den Schlüssel zum Werkraum und ich konnte mich in aller Ruhe mit Emaille- und Tonbrenn-Techniken ausprobieren. Beim Entrümpeln eines Lagerraumes mit Kunstgegenständen reifte dann der Entschluss, selbst Bildhauer zu werden. In jungen Jahren habe ich einiges an Holzschnitzerei gemacht und mich auch mal mit abstrakten Motiven ausprobiert. Bis mir dann klar wurde, dass ‚der Mensch‘ mein Ding ist. Und Menschen lassen sich in ihrer individuellen Einzigartigkeit am besten als Büsten portraitieren“, informierte der Bildhauer. Seinen Zuhörern riet er, sich bei der eigenen Lebensplanung nicht von Moden fernsteuern zu lassen. Man müsse hier konsequent auf die innere Stimme hören: „Was kannst du, was willst du? Welche Widerstände musst du dabei überwinden? Wer ist dafür ein geeigneter Lehrmeister?“. Das könne auch zu späteren  Umorientierungen führen. Man müsse dabei nur stets mit sich selbst im Reinen sein und dabei eine hinreichende Stetigkeit und Konsequenz zeigen. Nach 45 Jahren Bildhauerei hat er vor einem Jahr eine in Eigenarbeit erstellte Werkschau in Katalogform („Ubbo Enninga: Skulpturen aus 45 Jahren“, Kettler-Verlag, 444 Seiten) vorgelegt. Eine Besonderheit stellen Enningas Konvex-Konkav-Vexierformen dar, mit denen er außergewöhnliche optische Effekte erzielt. Sie sind u.a. in dem mit „Heimat“ betitelten Biedenkopfer Skulpturenpark „Am Radeköppel“ zu sehen, wozu auch eine 8 Meter hohe, aus Metall gegossene Rotbuchen-Stele sowie die Lahn-Ruderer-Bronzeskulptur „El Nino“ gehört. Enningas Auftraggeber sind Firmen, Kirchengemeinden, städtische Kulturdezernate und private Kunstliebhaber. Er hat unter vielen anderen Büsten vom mittelalterlichen Arzt Paracelsus (Basel), dem preußischen Reformer von Hardenberg, vom Maler Edvard Munch, dem Schriftsteller George Tabori, dem Anthroposophen Rudolf Steiner, der aus dem Ulmtal stammenden Theater-Größe Erwin Piscator und von Ferdinand Porsche geschaffen. Vor dem romanischen Dom von Fritzlar steht eine von Enninga erstellte mannsgroße Bonifatius-Statue. Auch seiner „Geliebten und Ehefrau“, der Sängerin Elcilyn, hat Enninga viele Arbeiten zugedacht. In der hessischen Landesvertretung in Berlin steht ein von ihm kreierter Bronze-Kopf von Georg August Zinn, dem ersten „Landesvater“ des Bundeslandes. Eine vom Künstler dem Kreis-Marburg-Biedenkopf geschenkte und vor dem Parlamentssaal aufgestellte Büste eines Afrikaners sorgte für eine kontrovers geführte Diskussion zum Thema Migration und Integration von Flüchtlingen sowie zu ethnokulturellen Identitäten. Wie er denn als Künstler zu seinen Ideen komme und ob er denn im Schaffensprozess auch Drogen nehme, interessierte einige aus dem Publikum: „Ich habe immer einen Zeichenblock griffbereit, da werden auch schon mal nachts Skizzen angefertigt und tagsüber dann weitergeführt. Was Drogen angeht, belasse ich es bei mäßigem Wein- oder Biergenuss. Man muss sich gegen Verlockungen des Bösen wappnen, wenn man seinen eigenen Zielen und Standards treu bleiben möchte“, lautete die Antwort. Von einer „Seelchen“ genannten süddeutschen Gebäckspezialität hat er sich zu einer „Seelen-Leiter“-Skulptur inspirieren lassen. Dass zur Nacht die etwa 20 Gramm schwere menschliche Seele regelmäßig den Körper verlasse, um dann beim Erwachen wieder Teil der Dreiheit „Körper-Seele-Geist“ zu werden, sei durch objektivierte Messverfahren belegt, behauptete der Referent, der auch von einer Seelenwanderung (als Variante von menschlicher Unsterblichkeit) überzeugt ist. Kolleglehrer Klaus Petri, ein früherer Klassenkamerad von Ubbo Enninga, bemerkte, dass der Gast seinem Schal – als einer Art Markenzeichen – offenbar über 5 Jahrzehnte die Treue gehalten hat. Zwei aus Breidenbach (bei Biedenkopf) stammende Studierende erkannten während des Bildvortrages ein vor dem dortigen Buderus-Gelände in der Mitte eines Verkehrskreisels errichtetes zig Tonnen schweres Schleifen-Monument wieder. Es war von einem Sattelschlepper dorthin gebracht worden. Enninga zeigte auch eine Luftbild-Aufnahme dazu: „Die hat ein Bekannter meines Vaters von einem Leicht-Fluggerät aus gemacht.“ Der Kunst-Vortrag hat – am Kolleg gibt es keinen Kunstunterricht – einen Beitrag zur ästhetischen Erziehung geleistet und konfrontierte die Studierenden über die Objektauswahl mit Repräsentanten und Stationen von rund zwei Jahrhunderten Kultur und Geistesgeschichte.