Gisela May-Hommage

Bericht über die Gisela May-Hommage am Hessenkolleg (14.09.) und im FRANZIS (15.09)

Wenn literarische Texte und Chansons mit Leidenschaft vorgetragen werden, können auch drei Generationen alte Botschaften und Musiktraditionen faszinieren und zur Auseinandersetzung herausfordern. Diese Erfahrung machten 120 Studierende des Hessenkollegs mit dem zweistündigen Programm einer „Hommage an Gisela May“. Die Biografie und das künstlerische Lebenswerk der 1924 in Wetzlar geborenen Schauspielerin und Interpretin von Brecht-Songs wurde den jungen Leuten durch die 76-jährige Sängerin und Theaterpädagogin Johanna Arndt aus Petershagen bei Berlin vermittelt. Die famose Klavierbegleitung leistete Christiane Obermann. Die vor knapp einem Jahr 92-jährig verstorbene Gisela May selbst wurde mit CD-Einspielungen und eindrucksvollem Bildmaterial zum Fixpunkt der zugleich lehrreichen und unterhaltsamen Matinee. In dem „Lied der Mutter Courage“ offenbart sich Brechts Blick auf die Verantwortlichen von millionenfachem Kriegsleid: „Der Krieg ist nichts als Geschäfte – und statt mit Käse ist’s mit Blei“. Gisela May, die ihren Bruder an den Krieg verlor und deren erster Klavierlehrer von den Nazis in Plötzensee ermordet wurde, stemmt sich ein Leben lang mit ihrer Kunst gegen den Wahnsinn des Krieges. Im Lied „Ankündigung einer Chansonette“ geht es um „Haltung zeigen“, nicht um Karriereplanung: „Sie kennt das Leben in jeder Fasson, ihre Lieder passen in keinen Salon. Sie singt, was sie weiß – und sie weiß, was sie singt“. Zum Leben gehören auch Hafenkneipen in Amsterdam, wo es nicht so fein zugeht: „Alles riecht hier nach Fisch – und ein doppelter Korn fließt über den Tisch“, heißt es in der Adaption eines Jacques Brel-Chansons. Ergo: „Chanson ist nie sentimental, nie kitschig – aber immer wahr“. Die Seeräuber-Jenny aus der Dreigroschenoper, die den „hohen Herren die Betten macht“, ohne von ihnen bemerkt zu werden, entwickelt Rachephantasien für täglich erlebte Demütigungen: „Ein Schiff wird kommen mit acht Segeln und fünfzig Kanonen an Bord…“. Sich nicht alles bieten lassen, dem eigenen Leben eine Richtung, einen Sinn geben, das eint im Brecht‘schen Theater den Autor, das Publikum und die Schauspielerin: „Sie kennt den Kakao, durch den man uns zieht, genauso wie wir“. Und: „Theater muss ins Helle zielen, in die Klarheit.“ Ein Vorbild der jungen May ist ihr Künstlerkollege Ernst Busch, Spanienkämpfer und legendärer Interpret kämpferischer Arbeiterlieder: „Deine klare Haltung hat mich tief beeindruckt; Belehrbare belehren und Unbelehrbare ohrfeigen!“ Wie hält es Gisela May mit „Zähigkeit“, wird sie vom Journalisten Günter Gaus einmal gefragt. „Zähigkeit ist ein unangenehmes Wort“, lautet die Antwort, „Leidenschaft gehört zu meinem Beruf – und die wird mir ewig bleiben“. Gisela Mays vitales Künstlertum begeistert die aus Thüringen stammende Johanna Arndt, als sie 1969 im Rahmen der „Internationalen Musikseminare Franz Liszt“ ihre Dozentin Gisela May in Weimar kennenlernt. Die beiden Frauen bleiben einander bis zum Sterbebett verbunden. Der nach Wetzlar mitgebrachte CD-Player stammt aus dem Fundus der Anfang Dezember 2016 in einem Pflegeheim in Berlin-Treptow verstorbenen Brecht-Interpretin. Als Musiker und Komponisten haben Paul Dessau, Hanns Eisler und Kurt Weill die Brecht-Songs mit klangvollen Melodien und Rhythmen unterlegt. In einer historischen Aufnahme singt Eisler selbst – mit österreichischem Akzent – Brechts „Ballade von der belebenden Wirkung des Geldes“. In dem Musical „Hallo Dolly“ singt und tanzt Gisela May die gleichnamige Protagonistin im Berliner Metropol-Theater. Im bekannten Song vom „Surabaya-Johnny“ (Brecht/Weill) geht es um einen Pfeife rauchenden Frauenschwarm, gegen dessen Aura kein Kraut gewachsen ist: „Surabaya Jonny, warum bist du so roh? Surabaya Jonny, mein Gott, ich liebe dich so!“. Das „Lied von der Moldau“ enthält den Vers „Es wechseln die Zeiten“. Der steht für Brechts historischen Optimismus in finsteren Zeiten. Gisela May hat ihn als Titel ihrer 2002 im Leipziger Militzke-Verlag erschienenen „Erinnerungen“ gewählt. Privat lief bei der Künstlerin „nicht alles rund“, war während der Hommage zu erfahren. Eine komplizierte Bauchhöhlenschwangerschaft ist die Ursache für Kinderlosigkeit, die erste Ehe mit dem Journalisten Georg Honigmann (1956-1965) ist schon in der Krise, als die May während einer Mailand-Tournee eine Affäre mit einem Künstlerkollegen beginnt: „Wenn das Künstlerdasein an erster Stelle steht – und nicht der Ehemann – , hält das keine Beziehung lange aus“. 1965 bis 1974 lebt Gisela May mit dem in der DDR verfemten Philosophen Wolfgang Harich zusammen. Die „Wende“ 1989/90 bedeutet das vorläufige Aus ihrer Künstlerkarriere. „Die Entlassung aus dem Berliner Ensemble erfolgte durch das 5-köpfige Direktorium der westdeutschen Neuzeit“, kommentierte Johanna Arndt bitter. Das romantisch-melancholische Musikstück „Die Mondnacht“ (Joseph von Eichendorff/Robert Schumann) war im hohen Alter Mays liebst gehörtes Lied. Es war der vorletzte Programmpunkt der facettenreichen Hommage. Den Abschluss bildete das „Friedenslied“ (Brecht/Eisler), das Gisela May im Ney Yorker UNO-Gebäude vor rund 50 Jahren zum Vortrag brachte. Die Wetzlarer Kulturamtsleiterin Kornelia Dietsch und Kulturdezernent Jörg Kratkey zeigten sich sehr angetan von dem Hommage-Programm und dankten den Organisatoren für ihr Engagement. In der abendlichen Franzis-Vorstellung hatte die Wetzlarer Buchautorin Sigrid Krekel die rund 40 Besucher willkommen geheißen.