Theatermatinee Moltke-Briefwechsel

Bericht über die Theatermatinee „In der Mitte des Netzes“ (Briefwechsel F u. H.J. Moltke) am 18.12.2014   (pi)

Welche Konflikte durchlebt ein kluger und verantwortungsbewusster Mensch im Korsett einer Diktatur und eingezwängt in eine dem „Führerbefehl“ unterworfene militärische Hierarchie? Dieser Frage geht eine Theaterinszenierung mit dem Titel „In der Mitte des Netzes – Freya und Helmuth James von Moltke“ auf den Grund. Das Quartett „Studio-Theater Stuttgart“ gab den bewegenden Stoff vom Widerstand des Kreisauer Kreises mit Helmuth von Moltke als todgeweihtem „Verräter an Führer, Volk und Vaterland“ am vorletzten Schultag vor den Ferien gleich zweimal: als Matinee vor 90 Hessenkollegiaten und einer Delegation der Goetheschule sowie vor knapp 50 Zuschauern abends im Franzis. Die Dialoge basieren auf Gefängnisbriefen von Moltkes und Antwortschreiben seiner Frau Freya, die durch den Mut des Tegeler Gefängnispfarrers Poelchau der Nachwelt erhalten geblieben und zur Quellengrundlage des Stückes geworden sind. Zu Beginn des Krieges betet der britische Premier Churchill, „dass Gott uns für wert befindet, uns den Sieg zu verleihen.“ Im Bunde mit Gott sieht sich auch der Christ Helmuth James von Moltke, der zunächst versucht mit militärischem Sachverstand dem erwarteten Führerbefehl eine Richtung „im Sinne des Schicksals deutscher Männer und Frauen“ zu geben. Auch interveniert er gegen die Beschlagnahmung des Vermögens ausgebürgerter Juden. Ihm ist klar: „Ein Mensch kann nur frei sein im Rahmen einer natürlichen Ordnung. Und diese Ordnung kann nur Bestand haben, wenn sie den Menschen frei sein lässt.“ Also einen Umsturz gegen Hitler planen? Welcher Zeitpunkt ist dafür geeignet? „Nicht während des Krieges gegen die Bolschewiken“, gibt der Offizier zu bedenken. Auf dem Höhepunkt des „Russlandfeldzuges“ kontrastieren seine zärtlichen Vatergefühle mit der blutigen Bilanz von täglich 6000 deutschen und 15.000 sowjetischen Opfern an der Front: „Ein schrecklicher Preis, der für unsere Untätigkeit und unser Zögern gezahlt werden muss.“ Als Ergebnis des Kriegseintritts der USA erwartet von Moltke, dass ein geschlagenes Deutschland künftig eine Existenz als Paria, als „Gefangener in der Festung Europa“  fristen werde. Und dann das elende Format der Nazi-Prominenten: Als die Reichshauptstadt in Trümmer fällt,  beklagt sich Reichsaußenminister von Ribbentrop über unzureichend aufgeheiztes Badewasser. Gekalauert wurde auch: „Was ist der Unterschied zwischen Christentum und Nationalsozialismus?“ Antwort: „Beim Christentum stirbt einer für alle, beim NS ist es umgekehrt.“            Die Ehefrau des von Robert Atzlinger verkörperten Offiziers nennt ihren Gatten liebevoll „mein Jäm“ oder „Hauswirt“. Dorothea Baltzer verleiht Freya Moltke mit ihrem Spiel zugleich couragierte und empfindsame Charakterzüge. Sie wird von ihm zärtlich „mein Pim“ genannt. Gemeinsame Erinnerungen an die Zeit des Kennenlernens sorgen für Gesprächsstoff: „Du wolltest doch ursprünglich Daisy?!… Sie hatte unglaublich lange Beine. Als sie ankam, dachte ich, ich habe schon verloren.“ Am 19. Januar 1944 wird der Hitlergegner von Moltke verhaftet. Obwohl nicht direkt an der Vorbereitung des Stauffenberg-Attentates vom 20. Juli 1944 beteiligt, wird ihm vor dem Volksgerichtshof der Prozess wegen Hochverrats gemacht. Freya von Moltke spricht ihm mit Blick auf den Verhandlungsführer Roland Freisler in einem Brief Mut zu:  „Wenn er brüllt, dann brülle zurück!“. Überliefert ist v. Moltkes Prophezeiung, der oberste Blutrichter und sein Tribunal würden aus den Widerständlern unfreiwillig „eine Legende machen“. Er ist in den letzten Monaten vor der Hinrichtung illusionslos: „Wir werden gehenkt, weil wir zusammen gedacht haben.“ Aber auch gefassten und mutigen Menschen fällt das  Sterben im besten Mannesalter schwer: „Weihnachten macht mir auch Sorgen, wenn ich dann frisch tot bin.“ Das Stuttgarter Ensemble hat auf der Basis zahlreicher Briefe ein lebendiges Theatererlebnis kreiert, das mit viel Applaus bedacht wurde. Eingeblendete Bilddokumente, ein Interview mit der 2010 in den USA verstorbenen Witwe Freya von Moltke und das Alt-Flötenspiel von Ekkehard Schobert vertieften das Verständnis für die Biografien außergewöhnlicher Zeitgenossen. Vorbereitet wurde das Gastspiel  durch die Wetzlarerin Kathrin Topuksöker, eine Schwester der Schauspielerin D. Baltzer, und durch den Arbeitskreis Frieden im Kirchenkreis Braunfels. Eine finanzielle Förderung dieses Lehrstücks über Geradlinigkeit und Verantwortung in schwieriger Zeit erfolgte durch das Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“, dessen Umsetzung vor Ort den Städten und Landkreisen obliegt.