Theatermatinee 2014: „Verbrannte Dichter“

Bericht über die Theatermatinee am Kolleg für die Gruppen der Q-Phase (LG 44 und 45) am 4.2.2014. Programm: „Verbrannte Dichter“ – mit dem Schauspieler Erich Schaffner und dem Pianisten Georg Klemp

Die Bücherverbrennung war im Mai 1933, wenige Wochen nach der Machtübertragung an die Hitlerfaschisten. Und Heinrich Heines (1797-1856) frühe und düstere Prophezeiung  „In einem Land, in dem man Bücher verbrennt, wird man dereinst auch Menschen verbrennen“ sollte wenige Jahre später schaurige Realität werden. Das 90-minütige, von den beiden Künstlern engagiert mit Leben erfüllte Programm taugte zur Auffrischung und Abrundung historischer Kenntnisse und konfrontierte die Studierenden mit kulturellen Traditionen, die im Zipp-Zapp des Unterhaltungsmainstreams schlicht ausgeblendet sind. Witze und Zoten haben die Menschen zu allen Zeiten angesprochen. Schaffner gab jede Menge Kostproben, etwa auch diesen ‚Flüsterwitz’: Frage: „Was ist ein Arier? Antwort: „Das Hinterteil eines Proletariers.“ Oder – nahezu aktuell – : „Warum ist es nach Wahlen immer so still?“ Antwort: „Alle haben gerade ihre Stimme abgegeben.“ Mit Brechts Szenen-Tableau „Furcht und Elend des 3. Reiches“ hatten sich die Studierenden bereits im DS-Unterricht beschäftigt. Schaffner steuerte vom Exilautor B.B. Bonmots bei („Eigentlich seltsam, dass man gerade das Land lieben soll, in dem man die Steuern zahlen muss“, heißt es etwa in den ‚Flüchtlingsgesprächen’) und interpretierte mit beeindruckender Stimme zeitgenössische Liedtexte. Im „Kälbermarsch“, einer Parodie auf das von der SA gesungene „Horst Wessel-Lied“, heißt es ebenso lakonisch wie zutreffend: „Es trotten die Kälber zum Schlachthof. Das Fell für die Trommel liefern sie selber.“ Es waren viele ‚Kälber’ damals in Deutschland, die ihren Metzger selber mit einer unbegrenzten Lizenz für Mord und Totschlag ausgestattet haben.Und es gab jede Menge ‚kleine Leute’. Dieser Begriff wurde oft im Wahlkampf 2013  Mitleid-heischend vom SPD-Chef Gabriel strapaziert. In einem Text von Kurt Tucholsky ist die Kulturlosigkeit und die engherzig-kleingeistige Bauart vieler Nazi-Anhänger Ausdruck von Kleinheit. Dass die Eliten der späten Weimarer Republik große Räder gedreht haben, um Hitler für ihre Kriegs- und Revanchepläne zu inthronisieren, wurde mit Textquellen pointiert belegt. Woher all diese Rohheit? Bert Brecht gab 1933 auf dem „1. Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur“ zur Antwort: „Die Rohheit kommt nicht von der Rohheit, sondern von all den Geschäften, die ohne sie nicht mehr gemacht werden können.“ In loser Folge – und eingestreut in das übrige Programm –  wurden die „Feuerflüche“ während der Bücherverbrennung von verschiedenen Rufern ausgebracht, etwa dieser: „Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung. Ich übergebe der Flamme die Schriften von Marx und Kautsky.“ Der wegen seiner Kriegsgegnerschaft verfemte Erich Kästner war auf dem Berliner Opernplatz zugegen, als sich die schaurige Zeremonie vollzog. Sein Schriftstellerkollege Oskar Maria Graf beklagte sich in einem Offenen Brief an Deutschlands Verleger bei den braunen Barbaren, dass sie ihn bei ihrem infernalischen Treiben „vergessen“ hätten: „Verbrennt mich!“ Für den bayerischen Volksschriftsteller war dies eine Frage der Berufsehre als Schriftsteller. Die Nürnberger „Rassengesetze“ von 1935 kommentierte Brecht mit dem „Lied von der Judenhure Marie Sanders“. Kurt Tucholsky hatte den laschen Umgang der Repräsentanten der Weimarer Republik mit den braunen Mordbuben 1931 sarkastisch kommentiert: „Küsst die Faschisten, wo immer ihr sie trefft!“ (Liedtext „Rosen auf den Weg gestreut“). Die 1933 brutal durchgesetzte Gleichschaltung betraf alle Lebensbereiche. Das in den späten 20er Jahren legendäre Berliner Kabarett war inkompatibel mit dem erdig-blutigen „Kunst“-Verständnis der Nazi-Häuptlinge. Hermann Göring wird der Satz zugeschrieben „Wenn ich das Wort ‚Kultur’ höre, greife ich automatisch zum Revolver.“ Der Berliner Kabarettist Werner Fink begrüßte seine Gäste 1933 hintersinnig so: „Gestern waren wir zu. Heute sind wir offen. Wenn wir heute wieder zu offen sind, ist morgen wieder zu.“ Der expressionistisch anmutende Brecht-Text „Das Fleisch schlägt auf in den Vorstädten…mit Macht“ vermittelt einen Eindruck von den scheußlichen Qualen von zehntausenden gemarterten Nazi-Gegnern. Er  wurde von Schaffner so eindrucksvoll gesungen, dass es einem kalt den Rücken herunterlief. Das Moorsoldatenlied, von KZ-Häftlingen auf Geheiß der SS in den Emslagern getextet, komponiert und gesungen, gehört zu den bekannten Liedern dieser Zeit – einige Strophen waren in die 2. Hälfte des 90-minütigen Programms eingefügt. Eher unbekannt hingegen dürfte der von Schauspieler Schaffner in rheinischer Mundart vorgetragene Erich Weinert-Text „Braune Kuh“ sein: Eine Unternehmergattin freut sich am Zugewinn von Freiheiten „für misch un meinen Mann“ im Dritten Reich. Für diese Art von „Sozialismus von oben“ kann sie sich erwärmen, denn „die Kosten trägt ja gern das Personal“.

Deutsch-Fachleiter Klaus Petri wies in seiner Begrüßung auf die lange Tradition der literarischen und Theater-Matineen am Kolleg hin, hieß auch Ehemalige als Gäste willkommen und bedankte sich im Namen des Kollegiums herzlich für die Unterstützung durch den Förderkreis der Erwachsenenschule. Den Studierenden legte er nahe, sich Brechts Diktum, dass „Denken eine der vorzüglichsten menschlichen Vergnügungen“ sei, zueigen zu machen. Für die meisten Studierenden war dieses Theaterereignis nach Form und Inhalt eher „ungewohnte Kost“. Die vielen Zeitbezüge…, das ist jetzt schon so lange her. Mit einem „Evaluationsbogen“ werden seit einigen Monaten solche Ereignisse außerhalb des regulären Unterrichts von den „usern“ kommentiert. Das Kolleg möchte sich stärker gegenüber „dem außerschulischen Umfeld“ öffnen. Und da interessiert es „was geht?“… und „darf’s a bisserl mehr sein?“.

Im Nachmittagsunterricht war der ehemalige Hessenkollegiat (Abitur 1973 in Rüsselsheim) und gelernte Schriftsetzer Erich Schaffner Gast im Deutschunterricht des LG 45 (Q2) im Nebengebäude. Da dort gerade Eichendorff und die Romantik Themen sind, bot es sich an, den Studierenden die Kommentierung des Kunstverständnisses der Nazis als „allerbilligste Romantik“ von dem Theatermann erläutern zu lassen. Um den kämpferischen Impetus des Programms „Verbrannte Dichter“ besser nachvollziehen zu können, muss man wissen, dass in den ersten 2-3 Jahrzehnten nach dem Krieg in der Nazi-Zeit geprägte Lehrkräfte unangefochten das Regiment in westdeutschen Schulen führten. Schaffner und der 4 Jahre jüngere Petri berichteten von in Serie prügelnden Pädagogen und zynischen „Hinrichtungen“ von Schülern im Chemiesaal oder im Sportunterricht. „Wer da nicht lernt sich zu wehren, wird krank oder geht unter“, wurde als Quintessenz des „1968er“-Zeitgeistes festgehalten.

Mit einer am Studium der Theaterwissenschaft interessierten Kollegiatin aus dem LG 44 führte der Gast aus Mörfelden nebenbei noch ganz praktisch eine „Laufbahnberatung“ durch.

Schaffner selbst qualifiziert Theaterinteressierte aus dem Rhein-Main-Gebiet seit kurzem auf einer eigenen Bühne…und ist seit vielen Jahren künstlerischer Leiter eines Theaterprojektes mit Arbeitslosen („WALI“) aus Wetzlar und Umgebung….“weil’s Spaß macht“.