Ausstellungsbesuch „Widerstand und Anpassung“ 2013

Bericht über den Vortrag von Marianne Peter über Arbeiterwiderstand (1933-45) in Wetzlar und Umgebung   – 12. Juni 2013 im Wetzlarer Rathaus  

  

Die Historikerin Marianne Peter hat Anfang der 80er Jahre mit dem LG 15 ihr Abitur am Hessenkolleg gemacht. Sie wohnt in Wetzlar und arbeitet als Jugendpflegerin im benachbarten Solms. Sie gehörte zu den Aktiven der „Wetzlarer Geschichtswerkstatt“, die Geschichte und Alltagskultur in Arbeiterwohnbezirken wie Niedergirmes oder Hermannstein untersuchten. Auch als im Rahmen eines Geschichtsprojektes der IG Metall 1987 das Kapitel „Zwangsarbeit während des 2. Weltkriegs in Wetzlar“ untersucht wurde, war Marianne Peter aktiv dabei. In zahlreichen Korrespondenzen hatte man im Vorfeld Kontakt zu Überlebenden in der damaligen Sowjetunion aufgebaut. Den aus Polen stammenden Thomasz Kyrillow, der 16-jährig nach Wetzlar verschleppt worden war, hatten die Nazis wg. Sabotage ins KZ Buchenwald überstellt. Er wurde nach Westfrankreich zu Bunkerbauarbeiten („Westwall“) abkommandiert und konnte dort – mit Unterstützung der französischen „Resistance“ – fliehen. Im August 1944 nahm er an der Befreiung von Paris teil. In Wetzlar hielt er 1987 einen Vortrag an seiner früheren Arbeitsstätte – dem heutigen Hessenkolleggebäude – und führte zusammen mit Marianne Peter Geschichtsinteressierte durch die Stadt, zum Beispiel zum Lager „Taubenstein“, einem Barackenlager zwischen Wetzlar und Garbenheim, in dem er damals untergeracht war. Anlässlich seines Todes in 1991 wurde seiner am Kolleg in einer Gedenkminute gedacht. Seine Lebenserinnerungen sind unter dem Titel „Und ihr werdet doch verlieren!“ in der DDR erschienen (heute nur noch antiquarisch erhältlich). Nach der deutschen Wiedervereinigung gab es für überlebende Menschen aus Osteuropa die Möglichkeit einer finanziellen Entschädigung für die Verschleppung zur Zwangsarbeit in Hitlerdeutschland. Marianne Peter korrespondierte mit einigen Anspruchsberechtigten und bemühte sich in Wetzlarer Betrieben um entsprechende Arbeitsnachweise. Die vor 25 Jahren entstandene Ausstellung über das Schicksal der rund 8000 damals  Zwangsarbeit in Wetzlar leistenden Menschen soll demnächst restauriert und der Öffentlichkeit erneut zugänglich gemacht werden. Marianne Peter hat sich bereit erklärt, als Referentin an dem Projekt „Geschichte des Schulgebäudes“ (1. – 5. July 2013  – in der letzten Schulwoche vor den Ferien) mitzuwirken.

Im Fach ‚Historisch-politische Bildung‘ heißt das Semesterthema In Q2 „Von der Demokratie zur Diktatur“. Im Zentrum steht dabei, ein Verständnis davon zu erzielen, warum der erste deutsche Versuch einer parlamentarischen Demokratie in Deutschland 1932/33 so kläglich scheiterte. Diesem Bildungsziel kam eine von der Hans-Böcklerstiftung initiierte Ausstellung über „Widerstand und Anpassung“ im Frühjahr 1933 entgegen. Sie war vom 2. bis 14. July im Rathausfoyer zu sehen und wurde in Anwesenheit von Landrat Schuster, Bürgermeister Wagner und des DGB-Vorsitzenden Ernst Richter eröffnet. Zum Rahmenprogramm gehörte auch eine regionalspezifische Studie über Widerstandsaktivitäten seitens der organisierten Arbeiterschaft in Wetzlar und Umgebung. Das entsprechende Referat hielt die Wetzlarer Historikerin Marianne Peter, eine ehemalige Hessenkollegiatin.

 Eine Studierendengruppe recherchierte die auf 24 großformatigen Tafeln dargestellten geschichtlichen Zusammenhänge unter Anleitung einer Marburger Studentin („Ella“), die als Böckler-Stipendiatin die zuvor schon in Gießen und Marburg gezeigte Ausstellung betreute. Neben der Historie kam auch Aktuelles zur Sprache: „Ella“ hatte am Wochenende zuvor an den Frankfurter „Blockupy“- Aktionen teilgenommen, am Rande des Polizeikessels auch Pfefferspray-Schwaden abbekommen und konnte ‚fast in Echtzeit‘ darüber – und über die Ziele der Veranstalter – informieren. Das Foto zeigt „Ella“ (2. von links) – umgeben von einem Teil der Studierendengruppe und ihrem HpB-Lehrer K. Petri.


                      

 Die zurzeit im Rathaus-Foyer gezeigte Ausstellung über Anpassung und Widerstand der Arbeiterbewegung im Frühjahr 1933 erfuhr eine regionale Vertiefung durch ein detail- und kenntnisreiches Referat der Historikerin Marianne Peter. Die Wetzlarerin, die vor über 20 Jahren mit 40 Personen aus Mittelhessen umfangreiche lebensgeschichtliche Interviews geführt hat, stellte ihren Ausführungen ein Zitat des SPD-Reichstagsabgeordneten und späteren KZ Dachau-Häftlings Kurt Schumacher aus 1932 voran: „Die Nazi-Propaganda appelliert an den inneren Schweinehund. Es ist die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit. Es ist der Gipfelpunkt moralischer und intellektueller Verlumpung.“ Während das deutsche Bürgertum großteils begeistert mitgemacht oder sich kraftlos in das scheinbar Unabwendbare gefügt habe, sei von der organisierten Arbeiterbewegung immerhin Widerstand ausgegangen. Etwa ein Prozent des von Peter auf rund 10 Millionen Menschen bezifferten klassenbewussten Arbeitermilieus habe aktiv Widerstand geleitet: „Das waren reichsweit immerhin mehrere Zehntausend.“ Von den 1947 für Wetzlar registrierten 137 Nazi-Verfolgten (darunter 9 Frauen) waren 104 „Politische“. In 20 Fällen lautete das Delikt „Hochverrat“. In der Weimarer Republik gab es um die SAJ (Sozialistische Arbeiterjugend) herum eine lebendige Arbeiterjugend- Naturfreunde- und Arbeitersportbewegung. Man grüßte sich untereinander mit „Freundschaft“ bzw. „Freiheit“ und zog mit Gitarren-, Mandolinen- oder Mundharmonika-Klängen in die Natur hinaus. Ein aus 1926 stammendes Bild  erinnerte an eine Friedenskundgebung auf dem Domplatz. „Nie, nie wollen wir Waffen tragen, nie zieh’n wir in den Krieg. Lasst die hohen Herren sich selber schlagen. Wir machen nicht mehr mit“, wurde dabei skandiert. Zu dem in Wetzlar stark aufgestellten republikanischen Schutzbund „Eiserne Front“ zählten in Wetzlar auch 27 jüdische Mitglieder, darunter die Rechtsanwälte Albert Schlesinger und Dr. Hugo Rosenthal. Sie leisteten verhafteten kommunistischen oder sozialdemokratischen Arbeitern juristischen Beistand. Der späteren, mit dem Begriff „Arisierung“ verbundenen Ausplünderung der Juden ging die rechtswidrige Inbesitznahme von Gewerkschaftseigentum einher. Im Gewerkschaftshaus am Niedergirmeser Weg wurden zum Beispiel Turngeräte beschlagnahmt. Die Arbeitersportbewegung sollte aufhören zu existieren. Wer sich den braunen Machthabern nicht beugte, wurde in der Hauptwache, an der Jäcksburg oder im Gerichtsgebäude Wertherstraße „in Schutzhaft“ genommen. Der Wetzlarer Kommunist Hermann Ulm sen. saß 2 Jahre in Haft, ohne dass es je zu einer Anklage gekommen wäre. Stadtbekannte Sozialdemokraten im Widerstand waren Willi Knothe (SAJ-Bezirkschef), Fritz Ziegler (Sekretär des Metallarbeiterverbandes), Gustav Locke (AOK-Vors.) und der Stadtverordnete Anton Muders. Der Reichsbanner-Mann Paul Abel wurde in Auschwitz ermordet, der Buderusarbeiter Erich Deibel starb unter dem Fallbeil, weil er 1941 Parolen gegen den Krieg angebracht hatte. Der Maler- und Anstreichermeister Heinrich Mootz stirbt in der Haft „an Unterkühlung“, der Brunnenbauer Jakob Müller aus Nauborn überlebt das Lager Buchenwald. 10 Wetzlarer werden nach der „Schutzhaft“ in die Emsland-Moorlager verschleppt. Wilhelm Mandler kommt bei einem Bombenangriff im Gefängnistrakt um. Er hatte einen über BBC London verbreiteten Aufruf unterzeichnet, der seine deutschen Landsleute „zur Verbrüderung mit dem Millionenheer der Zwangsarbeiter“ aufforderte. Nur dann werde man als Deutscher nach dem Krieg „wieder in den Spiegel schauen“ können. Marianne Peter schloss ihren 90-minütigen Vortrag mit der kritischen Frage aus einem Gedicht von Erich Fried: „Was hast du damals nicht getan, was du hättest tun sollen?“ DGB-Vorsitzender Ernst Richter dankte der Referentin für den exzellenten Vortrag und verwies auf die Veröffentlichung „Panzerrohre zu Pflugscharen!“ – eine Regionalstudie zur Geschichte der heimischen Arbeiterbewegung. (Petri)