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Bericht über den Vortrag von Ex-(LG 11) Kollegiat Dr. Jürgen Müller vor Studierenden des Hessenkollegs

„Wir waren damals neugierig auf die Welt. Wir haben eine neue Form von Freiheit erlebt und Lernen hat uns Spaß gemacht.“  So bilanziert  der 1953 in Werdorf geborene und in Wetzlar aufgewachsene promovierte Physiker Jürgen Müller seine Schulzeit am Wetzlarer Hessenkolleg.  Der heute in der Atomaufsicht beim Kieler Justizministerium tätige Müller hatte 1968 an der Freiherr v. Steinschule die Realschule abgeschlossenen und war anschließend als Beamter im mittleren Dienst mit Kataster- und Vermessungsaufgaben betraut. „Meine feste Beamtenstelle aufzugeben, erschien vielen meiner Bekannten damals abwegig. Ich habe das aber nie bereut. Im positiven Sinne habe ich das Hessenkolleg als eine Art Kulturschock erlebt. Man war von Alltagszwängen befreit. Was man im Unterricht gemacht hat, wurde gerne gemacht. Mein Interesse galt dabei vor allem den Naturwissenschaften. Nebenbei war ich – wie  viele andere  von uns  in den 70er Jahren –  auch gesellschaftspolitisch interessiert und engagiert. Es war die Zeit der anschwellenden Anti-AKW-Bewegung.“ Jürgen Müller war ein guter Schüler und erzielte im Physikstudium an der Uni Gießen mittlere Leistungen. „Als Mann des Zweiten Bildungsweges war ich entspannter als viele meiner jüngeren Mitstudierenden. Ich hatte ja auch vorher schon etwas erreicht. Wir sind viel gereist in dieser Zeit und haben das Leben auf eine unkonventionelle und eigenständige Art genossen.“ Jürgen Müller lebt heute mit Familie in Klausdorf bei Kiel und ist dort Vorsitzender des örtlichen Sportvereins. Für Exkursionsgruppen seiner alten Schule an die Kieler Förde stellte er sich schon mehrmals als Stadtführer zur Verfügung und die alljährlichen Hauptversammlungen des Förderkreises Hessenkollegs sind Anlass für einen Wetzlarbesuch. Er wohnt dann bei seiner Schwester in der Hintergasse. Natürlich interessierte sich die Zuhörerschaft auch besonders für Müllers berufliche Tätigkeit, die eng mit dem  Thema seiner Doktorarbeit „Zelluläre Strahlen-Biophysik“ zusammenhängt. Die norddeutschen Atomanlagen Krümmel, Brokdorf und Brunsbüttel werden regelmäßig auf akute Strahlungswerte und Risikopotentiale hin untersucht. „In Diskussionen mit Bürgerinitiativen vor Ort bin ich als Ministeriumsvertreter oft ‚der Böse’, weil man uns eine Vertuschungsabsicht unterstellt. Mein Anspruch ist es, dass ich mit meinem naturwissenschaftlichen Sachverstand Fakten vermittle und zur Aufklärung beitrage.“ Nach der Fukushima-Havarie war der Ex-Wetzlarer ein gefragter Gesprächspartner der Medien.  Frank Becker, Lehrer am Kolleg und Vorstandsmitglied des Förderkreises, konfrontierte Müller mit der Aussage eines Atom-Sachverständigen, wonach die jetzt noch betriebenen deutschen Anlagen nach neuesten Standards alle nicht mehr genehmigungsfähig seien. „Gefahrenquellen und Risiken sind relativ zu betrachten“,  gab Müller zu bedenken und verwies dabei auf die Dimension radioaktiver Strahlung aus der Zeit der Atomwaffentestung und der klinischen Nuklearmedizin. „Messungen aus der Nordsee verweisen vor allem auf die atomaren Wiederaufbereitungsanlagen in La Hague und Sellafield als Gefahrenquellen.“ Auch sei die ungeklärte Frage einer Endlagerung von atomarem Müll sicher das größere Problem.“ Die rund 40 gebannt zuhörenden Studierenden des Hessenkollegs erlebten die „Erzählstunde“ mit Jürgen Müller als ein zugleich kurzweiliges und lehrreiches „Studium generale“.