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Besuch des „Otto von Brunfels-Kreüterpfades“ in Braunfels durch einen Biologiekurs des LG 41

Im 3. Semester der Qualifikationsphase steht im Biologie-Unterricht das Thema „Ökologie und Stoffwechsel“ auf dem Lehrplan. Da es dabei auch um die Heilkräfte von Pflanzen, um deren Verwendung in Medizin und Pharmazie geht, bot es sich an, im 14 km entfernten Braunfelser Schlosspark dem „Otto von Brunfels Kreüterpfad“ einen Besuch abzustatten. Der Heilpflanzen-Lehrpfad mit rund 3 Dutzend Stationen ist vom Braunfelser Botaniker Wolfgang Gerster angelegt worden und Gerster ist es auch, der im historischen Gewand als „Otto von Brunfels“ (1488-1534) die notwendigen Erklärungen abgibt. Der 1933 geborene Erwachsenenbildner hat lange Zeit am Hessenkolleg die Fächer Biologie und Englisch vertreten, war in den 90er Jahren  auch Vorsitzender des Förderkreises und ist im Lahn-Dillgebiet durch die von ihm geleiteten botanischen Wanderungen in der Gemarkung Braunfels bekannt.

Die als „liebe Studiosi“ begrüßten Hessenkollegiaten erfuhren, dass besagter Otto von Brunfels einer von drei Begründern einer europäischen Botanik gewesen ist. Er besaß Latein-, Griechisch- und Arabisch-Kenntnisse und konnte so auf pflanzenkundliche Quellen der Antike zurückgreifen. Um das Jahr 1500 wurden nicht nur ganze Kontinente neu entdeckt, die modernen Wissenschaften mit ihrer Methodik exakten Beobachtens und systematischer Erfassung sprengten die durch Teufelsglauben und allerlei Mythen geprägten mittelalterlichen Welt- und Menschenbilder. Gerster stieß im Büchernachlass seines Großonkels Wilhelm Waldschmidt auf ein 1926 erschienenes schmales Bändchen mit dem Titel „Alte Heilkräuter“. Dessen Vorsatzblatt schmückte ein Holzschnitt mit dem Portrait des Arztes Otto Brunfels, der zugleich Mediziner und Theologe war. Er hatte 1532 sein „Contrafayt Kreüterbuch“ veröffentlicht, das erstmals nach der Natur dargestellte Abbildungen der beschriebenen Pflanzen enthielt. Gerster erklärte den Studierenden, „dass das, was die Ärzte damals verordneten, oft nicht mit dem übereinstimmte, was die Apotheker an Pflanzenextrakten ausgaben. Das verlangte nach einer Standardisierung, Systematisierung und einer schriftlich fixierten gesicherten Wissensbasis. Der in Mainz als Sohn eines Küfers und Kellermeisters in die  Renaissance-Zeit hineingeborene Otto wuchs in einer Epoche auf, die voller neugieriger Grenzüberschreitungen und Entdeckungen war.“ Die heute „Nelkenwurz“ genannte Heilpflanze (mit Klett-artigen Samen) ist im hist. Kräuterbuch als „Wild Benedictenwurtz“ ausgewiesen und bildet eine Station des Lehrpfades. Durch Reiben und Riechen an der Wurzel überzeugte sich die Besuchergruppe davon, dass mit Eugenol jener nach Nelken duftende Wirkstoff auftritt, der von Zahnärzten wegen seiner schmerzlindernden Funktion verwendet wird. Die gereinigte Pflanzenwurzel kann als Gewürz in Suppen, Soßen und Süßspeisen benutzt werden, findet aber auch als Gurgelmittel bei Hals- und Zahnfleischentzündungen Anwendung. Der „unliebliche Geruch“ des Ruprechtskrauts nach Mäuse-Urin hat dieser Pflanze auch den Namen „stinkender Storchschnabel“ eingetragen. Der Renaissance-Botaniker Leonhart-Fuchs (geb. 1501, nach ihm ist die Zierpflanzengruppe der „Fuchsien“ benannt)  schrieb in seinem 1543 gedruckten „New Kreüterbuch“ : „Storckenschnäbel seind von den Griechen und Lateinischen genent worden Gerania / darumb das sie am obersten Teyl des Stengels bringen ein Köpfflin mit langen Schnäbelin / nit anderst dann die Krench  oder Storcken.“. Die Verabreichung von Storchenschnabel-Aufguss gilt in der Volksheilkunde als probates Mittel gegen ungewollte Kinderlosigkeit. So heißt es etwa bei Rudolf Breuß, einem neuzeitlichen Heilkundigen aus dem Allgäu: „Wenn ein Ehepaar eventuell schon länger verheiratet, aber noch kinderlos ist und gerne welche hätte, so kann ich nur raten, dass beide Teile, also Mann und Frau, eine Tasse Storchenschnabeltee pro Tag schluckweise kalt trinken sollten. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten.“ Verantwortlich dafür dürfte ein Östrogen-ähnlicher Inhaltsstoff sein.  Gerster vermutet hier auch den Ursprung der Legende vom Kinder-bringenden Klapperstorch.

Im Biologie-Unterricht hatten die Studierenden des Hessenkollegs Räuber-Beute-Beziehungen, Symbiosen und Wirt-Parasit-Beispiele kennengelernt. Gerster gab die Erklärung für den eigentümliche Namen „Wurmfarn“: Der taugt wegen des giftigen Inhaltsstoffes Filicin zur Entfernung von Eingeweidewürmern. Das Gemisch aus Buttersäure und Phloroglucin-Verbindungen lähmt die Muskulatur der Parasiten, so dass sie den Halt verlieren und mit dem Stuhl ausgeschieden werden. Eine andere nutzbringende Anwendung bringt Farnkraut als Einstreu bei Tieren, um Flöhe und andere Lästlinge fernzuhalten. Zur Zeit des Otto von Brunfels war der Vermehrungszyklus von Sporenpflanzen noch unbekannt und um den erwarteten „Farnsamen“ rankten sich skurrile Mythen: „Kein Kraut ist / da meer Hexenwerck und Teüffels Gespenst wie getrieben würt. Ich muss hye mit Gewalt mich lassen bereden / wie dises Kraut ein Somen trage / welches es uff St. Johanns Nacht würfft / so doch Discorides / Plinius / und alle die davon geschriben / seins Somens gedencken. Und dieser Somen würt auch nit yedermann zu Theil / sonder muss man zuvor das Kraut beschwören und den Teüffel darüber anruffen / und alsdann so schwitzet es wie ein Gummi Tröpflin / welche gleich uff Stund hart werden / unnd zu einem schwartzen Somen / welcher mir auch von etlichen ist gezeygt worden.“ Der ominöse „Farnsamen“ schien einem „Stein der Weisen“ zu gleichen, sollte den Besitzer sogar für andere unsichtbar machen.

Die Blätter des Giersch (das Doldengewächs wird auch Geißbart genannt) wurden schon vor der Römerzeit im Mittelmeerraum als Gemüse verwendet. Legt man sie in zerquetschter Form

auf Gelenke, vermögen sie Gichtschmerzen zu lindern. Als die Dörfer noch mehr natürliche Dreckecken hatten, wuchs dort der „Gute Heinrich“, eine Wildform des Gartenspinats und  – ebenso wie die Brennnessel  –  eine Stickstoffzeigerpflanze. Das Rübenwurzelgewächs ist ein Vitaminspender und wird (wegen der im Frühjahr austreibenden „grünen Zipfel“) mit den „Heinzelmännchen“ in Verbindung gebracht.

2008 ist der Braunfelser Kräuterpfad – er wurde auf dem langgestreckten Areal einer ehemaligen Feuerwehrzufahrt angelegt – auch  um ein „Apotheker-Gärtlin“ ergänzt worden. Im Feld 1 (Heilpflanzen für Atmungsorgane) finden sich Pfennigskraut, Spitzwegerich, Schlüsselblume und Lungenkraut. Im 2. Feld (Verdauungsorgane) wachsen Meerrettich, Hopfen, Gänse-Fingerkraut, Tormentill und Vogelmiere. Gegen Herz-Kreislaufbeschwerden (Feld 3) sind wirksam: Knoblauch, Hirtentäschel, roter Fingerhut und Baldrian. In Feld 4, wo es um Abhilfe bei Haut- und Harnwegserkrankungen geht, erwarten den Besucher das Weidenröschen, das Ruprechtskraut und der Salbei.

Der 77-jährige Wolfgang Gerster, der auf vielen Feldern aktiv ist – u.a. als Ortvorsteher der Kernstadt Braunfels oder für das Afrika-Hilfsprojekt „Brückenschlag Tikato“ – hat der Gruppe auch seine soeben erschienene Buchveröffentlichung „Kräuterwissen – einst und jetzt“ (Die 100 bekanntesten Heil- und Nutzpflanzen in historischen und aktuellen Beschreibungen) vorgestellt, wo historisches Wissen dem aktuellen Kenntnisstand gegenübergestellt wird. Das Buch ist im Aula-Verlag erschienen, umfasst 240 Seiten (120 farb. Abb., 118 s/w-Abb.) hat die ISBN-Nr. 978-3-494-01499-9 und kostet 14,95 Euro.